Filmtipp: "Gone Girl"

2014 sah ich den Spielfilm “Gone Girl“. Mein damaliges Resümee lautete “geht so, nicht schlecht”. Danach vergaß ich den Film mitsamt des Inhalts. Bis ich ihn vorhin ein zweites Mal anschaute. Großartig und genial, so fällt meine heutige Bewertung aus. Was hat diesen Unterschied hervorgerufen?

Zuerst mal erinnert mich der Film an Hitchcock. Dabei denke ich weniger an die unnachahmliche Machart seiner Filme als vielmehr an die atmosphärische Dichte, in der das Böse im Schein einer über-moralisierten Umgebung agiert. Heute begreife ich erst, dass mit ihm eine fundamentale Gesellschaftskritik gemeint ist, dass es gar nicht in erster Linie um den geschilderten Fall geht, sondern dass es sich dabei um den Zustand des Mutterbodens handelt, in dem eine Pflanze gesät wird und aufwächst. 2014 hatte ich vom Hypermoralismus der Gesellschaft noch nichts mitbekommen. Man sagt ja immer, gesellschaftliche Entwicklungen und Strömungen benötigen ein paar Jahre, bevor sie aus den USA zu uns herüberschwappen. Die Hyperventilation der Medien war 2014 hierzulande noch nicht so weit fortgeschritten, wie es heute der Fall ist. All die künstlichen Skandale und Debatten, von BLM über Cancel Culture bis zu Klima und Corona gab es noch nicht.

“Was haben wir uns angetan? Was werden wir uns noch antun?”, lauten die letzten beiden fragenden Sätze im Film. Heute sehen wir zumindest schon mal deutlicher die Richtung, in der es geht. Wie in den USA, so leben wir mehr und mehr in einer medialen Welt, vollgestopft mit Zynismus und einer Doppelmoral vom Feinsten. Das nahm “Gone Girl” schon 2014 vorweg. Wie durch ein Brennglas zeigt der Regisseur David Fincher den kranken Mutterboden und die Früchte, die in ihm gedeihen, lässt uns vom Kleinen, Intimen zu den größeren Zusammenhängen blicken und macht klar, was in einer solchen Umgebung wächst wie Unkraut: das Böse in all seiner herrlichen Pracht der Scheinheiligkeit.

Es ist nichts Neues, dass ich selber ein Spätmerker bin. Naivität umgibt mich innerlich wie das warme Badewasser in der Wanne. 2014 kam ich schlicht nicht mal auf die Idee, der Film könne über seine Handlung hinaus noch eine andere Botschaft vermitteln. Einen Spiegel der Gesellschaft, ihr Zustand und das, was daraus entsteht – hätte mir damals jemand beim Ansehen des Films so etwas gesagt, ich hätte ihn nicht einmal verstanden, geschweige denn unter diesen Gesichtspunkten den Film betrachtet. Tja, man lernt eben nie aus. Heute bekommt der Film 10 Georg-Punkte, es hat also knapp 8 Jahre gedauert, bis ich seine Genialität erkannte.

Einen ebensolchen genialen Start in Wochenende wünsche ich dir heute. Allerdings ohne Doppelmoral und kranke Medienhysterie, dafür im wohlig warmen Badewasser noch tadelloser Beziehungen sozusagen.