Von der Austauschbarkeit der Dinge

Seit Ende der 1970er Jahre ging ich mit der Friedensbewegung auf die Straße. Meine ersten einschneidenden Demoerfahrungen sammelte ich auf einer Wahlkampfveranstaltung der CDU/CSU in Kleve, auf der ich mitten im Publikum stehend mit ein paar Gleichgesinnten unser Plakat “Stoppt Strauss” entrollte und hochhielt. Bespuckt, beschimpft und angegriffen: eigentlich begann das in meinem Leben bereits damals mit 18 Jahren. “Frieden schaffen ohne Waffen” prangte in großen Buchstaben auf meinem alten Auto jener Zeit. Es waren die bezahlbaren Riesen-Aufkleber der “DFGVK”, der großen von Ost-Berlin gesteuerten Organisation jener Zeit. Natürlich unterstützte ich die pazifistische Partei “Die Grünen” von Anfang an, war mit meiner Ente alleine nach Gorleben gezockelt und band die Sonne mit dem coolen Slogan “Atomkraft? Nein Danke!” überall in meinen Alltag ein. Bei den Wahlkampfveranstaltungen der Grünen fand ich mich nun auf der anderen Seite wie beim “Stop-Strauss-Auftritt” in Kleve wieder und abermals wurde ich von der Mehrheit der Leute im Lande dafür beschimpft und angegriffen.

Was will ich damit sagen?

Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang Grün gewählt haben in der Hoffnung, Vertreterinnen und Vertreter der pazifistischen Idee “Nie wieder Krieg!” in die Parlamente zu entsenden. “Keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete”, so stand diese Forderung beim letzten Wahlkampf nach wie vor im grünen Parteiprogramm. Da war ich allerdings längst nicht mehr “grün”, denn ich habe bewusst den Wandel durch Joschka Fischer und den der damals sogenannten “Realos” miterlebt, die Deutschland in den 1. Krieg seit 1945 getrieben hatten, in den Jugoslawien-Krieg, der ohne UN-Mandat allein von der NATO geführt worden war. Nichtsdestotrotz umwoben sich die Grünen danach erneut in einen klebrigen Kokon einer vermeintlichen pazifistischen Partei.

Nach jüngsten Umfragen befürworten heute über 80 Prozent der Grünen-Anhänger die Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie treten für deren Aufrüstung mitten im Krieg gegen Russland ein. Das ist ein kaum noch zu überbietender Widerspruch, ach, was sage ich?, geradezu die Umkehrung der jahrzehntelang wie eine Monstranz vor sich hergetragenen Idee des Pazifismus. Und der in Vergessenheit geratenen Petra Kelly. Ausgerechnet die Vertreterinnen und Vertreter der rechten Partei namentlich der AfD stellen sich nun nach diesen Umfragen als die einzigen übriggebliebenen Pazifisten heraus, denn nur 8 Prozent von ihnen befürworten die Waffenlieferungen ins ukrainische Kriegs- und Krisengebiet. Ist das nicht paradox?

Wer also nach wie vor der Idee des Pazifismus anhängt, wird jetzt als Rechter verunglimpft, und wer quasi als Revanche für den verlorenen Krieg der Nazis erneut auf dem Schlachtfeld das Töten der Russen fördert und fordert, gilt statt rechts heute als links und grün.

Die beiden politischen Begriffe “links” und “rechts” finden ihren Ursprung in der Sitzordnung der Parteien in den ersten Parlamenten des Kaiserreichs. Es hätte rein zufällig genau andersherum sein können, schon wäre die Geschichte begrifflich gegenteilig verlaufen. Inhaltlich waren und sind diese Schubladen, wie wir heute sehen können, genauso austauschbar. Immer wieder wird vergessen, dass der Begriff “Nazi” eine Abkürzung für National Sozialisten ist. Der Unterschied zu den internationalen Sozialisten liegt lediglich im Größenwahn der aktuellen “Weltretter” begründet, die, statt aufs eigene Land bezogen, auf die eigene Nation, heute gleich für die ganze Welt und deren Bevölkerung bestimmen und diktieren möchten. Der Pazifismus war einst die Domäne der linken Parteien, nun ist er Bestandteil rechter Politik geworden. Aber nicht die friedensliebenden Menschen haben sich gewandelt, sondern die Parteien.

Wer kann hierbei nicht verstehen, dass immer mehr Leute angesichts solcher “leichten politischen Irritationen” die Nase gestrichen voll von den Parteien haben und den Wahlen fernbleiben? Böse Zungen behaupten gar, dies sei die eigentliche Strategie hinter den stets wiederkehrenden Rufen nach Reformen und Wandel jeglicher Couleur, nämlich dass so wenig wie möglich Demokratie im Lande übrig bleibt, dafür umso mehr Verwirrung gestiftet wird, was wiederum das eigene Fortkommen der Berufspolitiker sichert. Ob nun mit Absicht oder nicht, tatsächlich ist der Parteienstaat in Deutschland am Ende. Er ist eine Art medial erzeugte Scheindemokratie geworden, die mich mehr und mehr an jene überspitzte Darbietung der politischen Verhältnisse in den Filmen “Die Tribute von Panem” erinnert.