Zwischen Raid und Shitstorm befindet sich nur eine hauchdünne Membran

Wunderbar, die Ruhe kehrt wieder ein. Einen kurzzeitigen Zugriffs-Sturm auf einen Live-Stream nennt man bei Twitch ja einen „Raid”. Der macht Riesenspaß. Die letzten drei Tage erinnerten mich sehr daran, obwohl es natürlich nicht dasselbe war. Somit geht wohl ab morgen alles wieder seinen gewohnten Gang. Ich habe nämlich echt keine Lust, mit einem privaten Tagebuch im Zentrum irgendwelcher Aufmerksamkeiten zu stehen, erst recht nicht die der irren E-Dampfer-Blase. Mit irre meine ich nicht E-Dampferinnen und Dampfer als solche, sondern nur die mehr oder weniger organisierte Internet-Foren-Community. Sie besteht zu 90 % aus Leuten, um die du in der realen Welt, in einem Supermarkt zum Beispiel, freiwillig mit dem Einkaufswagen einen Bogen fahren würdest.

Im Vergleich mit den großen Twitter- oder Facebook-Anstürmen (ob positiv oder negativ) war das natürlich ein Baby-Sürmchen, ein laues Lüftchen, doch es lässt sich schon ein wenig erahnen, wie arg ein normaler Mensch, ein Jugendlicher zum Beispiel, an negativen Stürmen unter Umständen leiden kann – oder, falls er anhält und sich über Monate oder Jahre in eine Diffamierungskampagne ausartet, zu solchen Konsequenzen führt, wie die des Freitods von Clemens Arvay. Der Mob kann einen Erwartungsdruck ausüben, der den Einzelnen sich ganz schnell der galoppierenden Herde anpassen lässt, aus Angst, andernfalls überrannt und zertrampelt zu werden. Der Mob des Mittelalters, der noch mordend und brandschatzend durch die engen Gassen der Stadtviertel zog, zieht heute in unveränderter Art virtuell durchs Internet, hinterlässt aber ähnliche Spuren in der realen Welt, das ist eine große Gefahr. Zumal man heute kaum mehr unterscheiden kann, ob es sich dabei um Bots handelt, die echte Menschen anstacheln, oder um echte Menschen, die ihre innere Sau rauslassen. Da braucht man entweder ein dickes Fell wie Boris Reitschuster oder Michael Ballweg oder man zieht aus Deutschland fort, wie Professor Sucharit Bhakdi und andere es getan haben – es zu ihrem Schutz und dem ihrer Familien tun mussten.

Aber ich schweife ab, der Ansturm der Besucherzahlen der letzten drei Tage hat damit rein gar nichts gemein, ich meine halt nur, dass man daran einen Hauch einer Ahnung gewinnt, wie gewaltig eine außer Rand und Band geratene Herde letztendlich auf einzelne Mitglieder wirkt – man kann sich dem, erst recht als sensibler und in der Massenpsychologie unerfahrener Mensch, nur schwer entziehen.

Nun denn, bis morgen also auf ein lecker Tässchen Kaffee oder ein nettes Teechen im geliebten, gemütlichen und wieder ruhigen Wohnzimmer dieses Weblogs.