Wohin man auch schaut: Konfomität

Hundeanhänger 2012

An unserem Haus klebt auf einer Stromverteilerdose seit ca. 20 Jahren ein kleiner „Atomkraft? Nein Danke” Aufkleber. Er fällt nicht ins Auge aber wer nicht weiß, wo genau er oder sie als Besucher sich befindet und nach einem Klingelschild oder der Hausnummer sucht, sieht ihn sofort. Meine Nichte fragte mich vor Jahren, weshalb ich ihn dahin geklebt hätte. Damit, so meine damalige Antwort, keiner auf die Idee kommt, in dem Haus abseits des Dorfs lebten Nazis. Also gelte ich bis heute für die vielen Boten, die hier regelmäßig vorfahren, als ein grüner Waldschrat. Wie konformistisch ich in der Realität der Wahrheit doch bin, nicht wahr?

Dasselbe galt für den kleinen ebensolchen Aufkleber auf dem Rückspiegel am Fahrrad. Da hoffte ich, dass zerstörungswütige junge Klimaaktivisten dieses Rad, wenn es irgendwo alleine an der Mauer angelehnt auf mich wartet, als das Rad einer ihrer Genossen identifizieren und es in Ruhe lassen. Den Aufkleber habe ich allerdings vor drei Jahren durch einen gelben reflektierenden Smilie ersetzt, denn wenn „normale Menschen” in der Nähe waren, schämte ich mich für den Anti-AKW-Aufkleber und bemerkte sogar, dass einige mich bereits arg skeptisch aus den Augenwinkeln gemustert hatten.

Inneres Ich: „Wie kamst du denn auf die Idee dieser ziemlich schleimigen Art des Konformismus?“

Nun, als ich noch ganz jung war und eine 2CV (Ente) fuhr, hatte ich einen gigantischen Anti-AKW-Aufkleber über die gesamte Motorhaube geklebt. Der wurde mir in Gorleben geschenkt, das war nämlich meine erste Reise ganz alleine mit der Ente gewesen; einmal quer durch Westdeutschland mit Tempo 80. Während meiner Lehre fuhr ich über Ostern in die „freie Republik Wendland”. So sah mein Urlaub aus. Und natürlich brannte ich seinerzeit voller Leidenschaft für die grüne Bewegung. Als dann später zu Hause im Dorf über Nacht auf dem Kirchplatz, der damals noch als Parkplatz für die Anwohner diente, sämtlichen Autos die Reifen zerstochen wurden – sämtlichen, bis auf meiner Ente – begriff ich, dass ihr Verschonen nur am großen Aufkleber hatte liegen können. Und man sieht außerdem, dass es links-grüne Zerstörungsaktivisten schon 1980 in Dörfern am Niederrhein gab.

Inneres Ich: „Und was hat es mit heute zu tun?“

„The Times They Are A-Changin’”. Als Konformist sind feine Antennen mein eigen. Nachdem wir also heute Tag 1 als einziges AKW-freies Land Europas „feiern”, dreht sich der Wind in der Bevölkerung. Jetzt ist es gar nicht mehr von Vorteil, durch Symbole eine Pseudomitgliedschaft in der fortschrittlich woken Gesellschaftsschicht zu heucheln, denn mehr und mehr verwandeln sich die Blicke auf Grüne Symbole in Abscheu. Es ist also an der Zeit, den Aufkleber am Haus auszutauschen. Nur womit?

Zuerst dachte ich, klebe doch eine gelb-blaue kleine Ukraine-Flagge dorthin. Das kann ich aber tatsächlich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Weiß-blau-rot wäre mir schon lieber, doch einen solchen Klebesticker spare ich noch auf, bis dass der Russe unstreitig am Rhein steht. „Stoppt Strauß”, „35” (mit lachender Sonne und „SPD”) oder „Volkszählungs-Boykott”, das wiederum wäre dann eindeutig ein wenig zu gestrig (wobei „Keine Experimente!“ oder „Willy wählen!“ heute um so cooler wirken würde). Also überlege ich derzeit noch. Falls mir partout nichts einfällt, klebe ich auch einfach einen gelben Smilie dahin.