Heute zum letzten Mal etwas über meinen grippalen Infekt, versprochen. Ich wollte nie ein „Krankheits-Tagebuch” schreiben, so etwas finde ich selber furchtbar. Eigentlich ist der grippale Infekt auch nur der Auslöser, um über etwas anderes zu schreiben, nämlich den Kräfteverfall im Alter. Der gibt sich in einer solchen Situation eben besonders deutlich zu erkennen.
Nach der 2. Nachtschicht wieder im fiesen eisigen Wind (Stichwort: Klimaverschiebung), in der ich ganz normal rund 30 Kilometer mit dem Fahrrad und zu Fuß zurückgelegt hatte, führte mein durch den Infekt sowieso schon geschwächter Zustand zu der Erkenntnis: Georg, du bist kräftemäßig heute am Ende deiner Leistungsfähigkeit angelangt. Und zwar zum ersten Mal im Leben. Sogar die Heimfahrt am Ende der Schicht verbrachte ich überwiegend gehend und das Rad schiebend. Besser: schlurfend, schleppend. Was in meinem bisherigen Dasein vielleicht als eine kleine Anstrengung gewertet wurde, bei der immer noch reichlich Reserven vorhanden waren, verwandelte sich heute Morgen beim ständigen Blinken einer großen roten Zahl Null der körpereigenen Akkustandanzeige in ein Roulett kurz vor dem Aus. Rien ne va plus. Allein die Hoffnung aus diversen Filmen, die in gesprochenen Sätzen wie „Die Mechaniker füllen immer einen Tropfen mehr in den Tank” für einen Funken Optimismus sorgt, verhinderte auch meine Resignation – tatsächlich war ich drauf und dran, mich auf den Seitenstreifen des Fahrradweges hinzusetzen, um die letzten Tropfen Sprit für einen letzten Schluck der letzten 2 Kilometer in einer winzigen Pfütze auf der Zunge zu sammeln. Hollywood sei Dank, es reichte noch bis zu Hause.
Die schweren Lederstiefel aus, die Kleider vom Leib gerissen (ein nachfolgender Mensch hätte anhand der Kleiderspur entlang der Treppe nach oben und bis ins Schlafzimmer sofort an ein erotisches Abenteuer gedacht) und ohne zuzudecken erst mal ins Bett gefallen. Gut 2 Stunden folgte in tiefer Bewusstlosigkeit eine Emergency-Schnellaufladung des Akkus. Bei 5 % Füllstand stand ich wieder auf und begann die Abendroutine. Später, während des normalen Zubettgehens, hätte ich wetten können, bis Montag durchzuschlafen. War aber nicht so, nach 6 Stunden stand der Akku erneut auf 80 % aber die Husterei ließ mich leider nicht zur Gänze ausschlafen (das Husten nach einer Atemwegsinfektion, mit dem die vielen Leichenteile der Viren nach dem gewonnenen Krieg aus dem Körper geschleudert werden, ist das eigentlich Lästige, viel schlimmer als die vorangegangene Infektion – was allerdings trotz seiner nervigen Gründlichkeit am Ende ziemlich effektiv ist).
Tja, so sieht’s aus. Meine Immunabwehr besiegt zwar eine Infektion nach wie vor gut, doch meine Kraft reicht nur noch für diesen Krieg aus, nicht mehr für ein zusätzliches, parallel laufendes Bühnenprogramm der Frontunterhaltung.
In den nächsten Tagen wird das alles Geschichte sein. Was diesmal übrigbleibt, ist zum ersten Mal die wie mit einem Vorschlaghammer gewonnene Erkenntnis des Alters mit seiner zunehmenden Schwäche. Mein neuer Wegbegleiter, der Verfall, hat sich aufgemacht, die letzte Runde neben mir herzulaufen und mich anzufeuern.
Und doch ist das nichts Besonderes, erlebt seit Milliarden Jahren jedes Leben auf der Erde dasselbe. Selbst das Universum wird bestimmt von Geburt und Vergehen ganzer Galaxien. Das ist tröstlich, denn was du auch tust, „du fällst nie tiefer als in seine Hände.”
Hier ohne störende Werbung:
Wie du selbst erkannt hast, ist es -noch- ein vorübergehender Zustand.
Ich bin dir einige, vielleicht viele Jahre voraus, und ja, inzwischen fühle ich immer wieder das was man früher Altersschwäche nannte.
Ich finde das empörend, habe ich doch immer viel und gerne gearbeitet und hatte eine unbändige Energie. Seit den Operationen 2019 bin ich nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Ich kann keine langen Wanderungen mehr machen, sogar nach dem Einkaufen muss ich mich erst einmal aufs Sofa hauen. Das Alter erwischt jeden, aber wenn ich mich mit anderen vergleiche, finde ich dass es mir „noch gutgeht“.
Ich lese bei einer Bloggerin die in Jerusalem lebt und die seit Jahren gegen einen ganz gemeinen Krebs kämpft. Ihre dennoch so positive Lebenseinstellung bewundere ich, sie ist für mich ein Role Model.
Einen Rat nur habe ich für dich. Mache dir bloß keinen Kopf, wie es mal mit dir wird.
Die Situation annehmen und damit dealen, wenn sie da ist. Deine Vorsorgesachen hast du erledigt und das muss genügen.
Einzig an der Mobilität würde ich was ändern. Ich könnte z.B. auf gar keinen Fall mehr Fahrrad fahren. Freunde die keinen Führerschein haben, besitzen einen „Duo“. Das war in der DDR so ein Hilfsfahrzeug was man ohne Führerschein fahren durfte. Heißes Teil und sehr unaufwendig. Platz zum Abstellen hättest du ja 😉
Empörend – du benutzt ein Wort hierfür, was sich heute in meinem Kopf festgesetzt hat und über das ich im Laufe des Tages immer wieder nachdenken musste. Es trifft die Sache sehr gut. Auch ich finde es empörend. Und zwar aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven gleichermaßen.
Egal, ob man sich mit dem Schwinden der Kräfte abfindet, es einfach so hinnimmt (es bleibt einem eh nichts anderes übrig, man hat ja keine Wahl) oder ob man dagegen wütend rebelliert (am Ende kann man fluchen und schimpfen wie man will, auch das wird nichts ändern). Ob man resigniert jammert und der vergangenen Blütezeit tagein, tagaus nachtrauert oder ob man das Beste daraus macht, es vielleicht zum Anlass nimmt, das bisherige Leben komplett zu verändern (was natürlich eine Geldfrage ist) – in jedem Fall wurden wir vom Schicksal nicht um Erlaubnis gebeten, nicht gefragt, ja, uns wurde nicht einmal Bescheid gegeben. Und das ist schon ziemlich übergriffig, mindestens jedoch ist es empörend.
Nun, auch das ist dem Schicksal seit Anbeginn allen Seins völlig egal. Da tritt doch automatisch die Frage in den Vordergrund, weshalb wir ein Leben lang oft Dinge tun, Sachen sagen, die andere von uns erwarten, oder warum wir selber an etwas glauben und dem Glauben nacheifern, nur um gewissenstechnisch gut dazustehen oder vom Schicksal irgendeinen Dank dafür zu erhalten? Wir sind dem Schicksal aber völlig gleichgültig, egal, was wir tun, egal, wofür wir es tun und genauso egal, ob wir etwas tun.
Als Misanthrop habe ich es natürlich viel leichter. Seit Jahr und Tag nehme ich keinen Menschen wichtiger als ein Tier, eine Pflanze oder als den Baum vor meinem Fenster. Mich selber dabei eingeschlossen, eine Selbstüberhöhung ist mir mittlerweile genauso fremd wie das Selbstmitleid. Auch das Schicksal ist für mich bedeutungslos. Werde ich Morgen im Lotto zum Multimillionär oder ende neben einem Einkaufswagen mit meinen Habseligkeiten unter einer Brücke, ich kann das Schicksal nicht beeinflussen. Es sind ja nicht allein die schwindenden Kräfte, das Schicksal hat ohne mich zu Fragen mich als ein Baby in die Welt gesetzt. Es kümmerte es nicht die Bohne, ob ich damit einverstanden war. Und wo auf der Welt mit welchen Eltern wir aufwachsen, ob überhaupt mit Eltern, ob unser Leben schon nach Minuten oder nach einer Zeit x wieder endet, das ist alles fürs Schicksal unbedeutend.
Ich würde, falls ich ihm in welcher Form auch immer begegne, es schlichtweg auslachen. Nichts anderes hat es verdient. Und falls es meint, mich dafür dann noch nett bestrafen zu müssen, dann lache ich noch lauter und zeige ihm den Mittelfinger. Wenn man erst mal so weit ist, dann macht einem nichts mehr wirkliche Angst.
Natürlich brauche ich dazu das Schimpfen. Ich schimpfe gerne das Schicksal aus, aber wirklich erst gemeint ist das nicht. Wovor ich den allergrößten Respekt habe, das sind Menschen vom Schlage eines Gunter Sachs, die ihr Leben lebten, wie sie es wollten, und die dem würdelosen Sterben (mit Alzheimer) durch eine Kugel selbstbestimmt zuvorkamen.
Aber, liebe Barbara, wie du siehst, gerate ich wieder vonet Höcksken aufet Stöcksken 🙂 Einen angenehmen Pfingstmontag wünsche ich dir.