„Absolutistische Freiheit”? Wat is’n dette?

Saskia Esken, immerhin noch SPD-Parteivorsitzende, sagt: „Meinungsfreiheit, die ins Absolute, ins Absolutistische geradezu verdreht worden ist, hat das WWW kaputt gemacht.” Wie irre ist das denn? Konfus gleich auf mehreren Ebenen. Hier habe ich das gefunden. Mit meinen eigenen Worten aber viel deutlicher etwas dazu zu sagen.

1. Das WWW steht für eine Freiheit, die es in der realen Welt noch nie zuvor gegeben hat. An allen Ecken und Enden wird seit nunmehr 30 Jahren versucht, Stückchen für Stückchen stets wohlbegründet von dieser Freiheit etwas abzunabbern. Das ging so weit, dass soziale Netzwerke die Freiheit komplett abschafften, indem sie die Zensur und Cancel-Culture einführten und auf Forderungen von Regierungen eingingen, große Teile der Meinungsfreiheit zu verbieten. Da musste erst ein Elon Musk kommen, um die Freiheit neu zu erkaufen. Zumindest in den USA und in der westlichen Welt. All das ist aber nicht das WWW, sondern es sind die sozialen Netzwerke innerhalb des WWWs. Also nur Teilaspekte im WWW.

2. Die großen Tech-Konzerne bemächtigen sich der Freiheit des gesamten WWWs, indem sie die technischen Weltstandards des WWWs beeinflussen (zum Beispiel, indem sie HTML-Standards auf Konferenzen festlegen oder den HTTPS-Standard einführten). Darüber hinaus steuern und verwalten sie die Aktivitäten im WWW über die Browser und versuchen, die bisherige Technik oder Alternativen zur bisherigen Technik endgültig zu verbannen.

3. Wird die Freiheit aber genommen, ist sie zur Unfreiheit geworden. Absolute Freiheit, wie Esken sie nennt, bedeutet vollkommene Freiheit. Wie kann eine vollkommene Freiheit die Freiheit (im WWW) nehmen? Das ist ein irrwitziger Widerspruch. Gemeint hat Frau Esken sicher wohl IHRE eigene Freiheit oder die Freiheit der EINEN Gruppe. Quasi wo die Unfreiheit eines Menschen beginnt, endet die Freiheit eines anderen. Das trifft natürlich aufs reale Leben zu, doch in der virtuellen Welt ist dieser Zusammenhang anders zu bewerten. Wer eine andere Meinung hat, nimmt keinem die eigene Meinung, wer in einem Computerspiel jemanden tötet, tötet keinen echten Menschen. Jeder darf den größten Unsinn erzählen, das nimmt niemandem die Freiheit – aber jemandem zu untersagen, den größten Unsinn zu erzählen, das raubt – kürze ich es mal auf den kleinsten Nenner – dem Schwurbler die Freiheit zu schwurbeln. Nichts, keine Idee, keine Gedanken, nicht einmal die größte Hetze sollte verboten werden. Das ist vollkommene Freiheit. Wer mit dieser „absolutistischen Freiheit” nicht klarkommt, hat ein eigenes Problem oder zu wenig Vertrauen in die Schwarmintelligenz der anderen. Alolf Hitler wird nicht wieder auferstehen, wenn wir „Mein Kampf” nicht mehr verbieten. Im Gegenteil: je verbotener und verruchter etwas ist, desto höher wird der Reiz danach. Bei der Blasphemie gilt dasselbe: dadurch, dass in vielen Ländern Religions- und Gesellschaftskritik als Blasphemie verurteilt und bestraft wird, entsteht erst das Leid. Die Unfreiheit erschafft somit Leid – und sie beginnt immer dann, wenn die Meinung, die Worte und Schriften anderer von jemandem nicht ausgehalten und verboten werden. Beim TV früher war es der Aus-Knopf, den man betätigen konnte, wenn man etwas nicht sehen oder ertragen konnte. Beim WWW ist es dasselbe.

4. Worte führen zu Taten, so wird gemeinhin behauptet. Das ist ein ständig wiederholter Unsinn. Umstände, ob im Privaten oder im Gesellschaftlichen, führen zu Taten. Worte hingegen können sogar als Ventil diese Taten verhindern. Nur der stumme Mensch, der Mensch, dessen Ausdruck verboten wird, schlägt irgendwann wild um sich. Ausdruckslosigkeit führt zur realen Gewalt gegen andere und zur Gefahr. Gleichförmigkeit und Gleichschritte lassen Taten gewissermaßen explodieren – die Freiheit hingegen, sich überall virtuell entfalten zu können, sich ausdrücken zu können, schützt sogar die Realität und so das Leben der anderen. Bestes Beispiel die Diskussionen der 1980er und 90er Jahre bezüglich der Killerspiele.

5. Wenn Ideen von vielen Leuten geteilt werden, kann man die Folgen nicht verhindern, indem die Ideen verboten werden. Verbietet man also die Freiheit, brodeln diese Ideen im Kessel weiter aber können nicht hinaus – das führt zwangsläufig dazu, dass explosionsartig irgendwann sämtliche Steuerungen versagen und im schlimmsten Fall eine zu viel geregelte Gesellschaft von heute auf morgen abgeschafft wird (Revolutionen).

6. Also die von Eskens beklagte „absolutistische Freiheit” ermöglicht erst ihre eigene Freiheit, selber zu entscheiden, was oder wem sie zuhört, liest oder wem sie angehören möchte. Niemand wird gezwungen, in den sozialen Netzwerken des WWWs Mitglied zu sein. Deswegen kann Frau Esken problemlos „Twitter” verlassen. Verwandelt jemand aber diese „absolute Freiheit” in eine eingeschränkte Freiheit – also in Unfreiheit – dann kann ein einzelner Mensch womöglich in Zukunft nicht mehr bestimmte Netzwerke einfach so verlassen, denn er ist dann in ihnen Zwangsmitglied geworden. Der digitale Euro sei hier nur als Beispiel genannt, oder ein künftiger Nachfolger der „Corona-Warnapp” oder ein soziales Punktesystem nach chinesischem Vorbild.

Aber ich habe hier gar keine Angst. Denn wenn Menschen einmal die Freiheit genossen haben, kannst du ihnen sie nicht mehr dauerhaft nehmen. Es finden sich immer neue technische Wege, die Freiheit neu erblühen zu lassen. Nimmst du den Menschen ihr Bargeld, werden sie einen Ersatz dafür finden. Im schlimmsten Fall, wenn alles zu sehr eingeschnürt wird, dass jede Luft zum Atmen fehlt, gibt’s eben Revolution und die Machthaber, Kontrolleure und Vertreter der Unfreiheit werden zum Teufel gejagt. Was ich mich aber ernsthaft frage: wie kann eine ehemals große Volkspartei mit Denkern wie Brandt und Machern wie Schmidt von einem so schwachen Intellekt geführt werden? Wirft das nicht auch ein Licht auf die schummrige Ecke halbverwesender SPD-Parteimitglieder?