Macht kaputt, was euch kaputt macht?

Achherrje, wegen des gestrigen Eintrags wurde ich mal wieder kritisiert. Leider nicht öffentlich. Das will ich – zwar übertrieben, so doch dem Tenor nach – zusammenfassen: Ich sei ein verbitterter, depressiver alter Mann, der mit den Veränderungen der Moderne nicht mehr zurechtkommt und nun die Apokalypse an die Wand male. Wir leben auf Kosten der Natur, zerstören die Erde, und wenn ich das nicht begreife, so müsse meinesgleichen halt dazu gezwungen werden. Die Welt gehe nicht unter, wenn wir gefälligst in weniger Wohlstand und klimaneutral leben würden. Und so weiter und so fort.

Also: Zum einen ist mir ja egal, was ich in den Augen anderer Leute bin oder nicht bin, zum anderen aber stört es mich schon, wenn meine Worte komplett missverstanden werden, wenn etwas verstanden wird, was nirgendwo geschrieben steht. Wenn ich von Zerstörung (also dem Kaputtmachen) schreibe, dann meine ich sicher nicht den Weltuntergang. Natürlich geht der Lebensalltag aller Menschen weiter, auch wenn um sie herum die Dinge sich verändern. Sogar in einem vollkommen zerstörten Land gibt es so etwas wie die tägliche Routine des Daseins. Sie gab es im Nachkriegsdeutschland, sie gibt es in der Ukraine oder in Syrien oder wo auch immer. In einer Diktatur leben die meisten Leute ihren Alltag nicht wesentlich unglücklicher als in einer Demokratie. Selbst staatliche Eingriffe in das private Leben werden hingenommen und man gewöhnt sich an sie. Das hat übrigens die Corona-Zeit anschaulich gezeigt: die meisten Leute ließen sich impfen, nicht der Gesundheit wegen, sondern um nach wie vor am beruflichen und öffentlichen Leben weiter teilhaben zu können. Ein Vorzeigen des Impfpasses z.B. beim Besuch einer Gaststätte, eines Kinos usw. wurde schlichtweg als neue Normalität verstanden. Ausgangssperren wurden murrend befolgt, der neue Alltag um diese Regeln herum eingerichtet. Wenn ich also schreibe, die Demokratie oder die Wirtschaft des Landes würden zerstört werden, so ist damit nicht gemeint, dass wir Morgen alle in einer Trümmerlandschaft leben und unter freiem Himmel oder in Höhlen von Ruinen hausen müssen – und sogar falls es so wäre, gäbe es auch dort eine tägliche Lebensroutine. Menschen sind gerade in schlimmen Notzeiten erfinderisch und solidarisch. Es gibt immer und unter beinahe allen Umständen Lachen und Weinen, Freude und Leid. Kinder werden erzogen, Bedürfnisse gestillt, Witze gerissen, sogar Kunst- und Kulturereignisse finden statt. Alles natürlich an die neuen Gegebenheiten in veränderter Form angepasst. Will sagen: es gibt Morgen kein Ende der Welt, egal, was wir tun oder lassen!

Ohne Rechtssicherheit erschaffen sich Menschen eigene neue Regeln. Sollte – rein theoretisch – ein staatliches Gebilde tatsächlich einmal verschwinden, ersatzlos, und ein Chaos bräche aus, dann würden wir binnen kürzester Zeit wieder zu Stämmen oder Gruppen werden, die ihre eigenen kleinen Staaten bilden inklusive aller erforderlichen Strukturen wie Richter und Polizisten, Helfer, Krankenfürsorge usw.. Das Ende der Welt a la Hollywood ist eine Fantasie, die mit der Realität des Lebens nichts zu tun hat. Darf ich hier noch einmal den Film empfehlen „Am Anfang war das Feuer”? Ein gerade für Theoretiker und Ideologen hochspannendes 10-Punkte-Highlight, bei dem sie erstaunt feststellen werden, wie ein Film ohne ein einziges Wort gesprochener Sprache die Zuschauer dennoch geradezu gefesselt vor dem Bildschirm gefangen hält.

Für Opportunisten sind Zeitenwenden sowieso kein bisschen schlimm. Jeder ist in seinem individuellen Maß ein Opportunist. Mehr oder weniger. Darüber hinaus bieten diese Veränderungen, je nach Ausmaß, allen bisher Zukurzgekommenen ungeheure Chancen, endlich groß heraus zu kommen. Würde beispielsweise mir morgen verboten werden, zu schreiben, was ich denke, dann würde ich’s einfach sein lassen und kein öffentliches Tagebuch mehr führen – mein normales Leben im Alltag wäre davon kaum betroffen. Es steht nur die Frage im Raum: Will ich so etwas? Oder: Will ich mir in einem wirtschaftlich zerstörten Land immerzu Gedanken machen müssen, wie ich den nächsten Tag meine Wohnung heize, wie ich übers normale Maß hinaus etwas zu Essen auftreibe, wie ich mich fortbewege, oder wie ich an Konsumgüter gelange, für die bisher ein Mausklick bei Amazon & Co. genügt? Man kann auch ohne Entertainment leben, wird genauso fleischlos oder fleischarm satt, stirbt nicht im Winter bei durchgehend 15 Grad in der Hütte, nur möchte ich das? Wir seien alle wohlstandsverwöhnt, wurde mir gesagt, dann bitte, es wird doch niemand gezwungen, so zu leben. Ich finde es arg merkwürdig, dass die Propagandisten eines Zurück zur Einfachheit allen anderen Menschen ihre Philosophie aufzwingen möchten.

Wenn mich nicht alles täuscht, dann entspringt der Trieb derjenigen, die alles Vorhandene zerstören wollen, einzig dem Neid – nicht allein dem Neid auf Materielles, ich selber bin sogar arm, da gibt’s nichts Beneidenswertes, sondern viel mehr noch dem Neid auf die Zufriedenheit oder das Glücklich-Sein anderer. Weil sie es selber nicht sind, ertragen sie es nicht bei anderen und wollen es ihnen wegnehmen oder kaputtmachen. Wie der Sandkasten im Kindergarten, in dem das eine Kind dem glücklich glucksenden anderen Kind seine Förmchen zerschlägt. Wie der mühsam errichtete Lego-Bau, den ein anderes Kind zerschlägt und sich am Weinen des kleinen Ingenieurs erfreut. So einfach ist das eigentlich; das ist das ganze Wesen sogenannter Weltverbesserer und deren Ideologien und Theorien.