Land der Freiheit

Weshalb siehst du hier, wie „Monomond” in sternklarer Nacht sein Pfeifchen genießt – wohlgemerkt er dampft, oder siehst du irgendwo Rauch? Dazu später mehr.

Daniel hat mich unbeabsichtigt dazu gebracht, mir mal wieder über das Thema Auswanderung so meine Gedanken zu machen. Was würde sie für mich bedeuten, beinhalten oder was könnte ich von ihr erhoffen? Bin ich vielleicht schon ausgewandert? Ist so etwas überhaupt heutzutage noch möglich? Oder anders gefragt: Was würde eine heutige Auswanderung morgen bedeuten?

Verlust der Heimat?

Für eine Auswanderung bin ich zu alt. Mein Lebensweg ist heute die Zielgerade, die keine Windungen oder Abzweigungen mehr kennt; ein Auslauf in gewisser Weise. Wäre ich aber 40 Jahre alt oder jünger, so würde ich sofort und spontan auswandern, ohne auch nur einen Augenblick wirtschaftliche Sorgen zu befürchten. Es blieben nach 40 Jahren in der Heimat und der Sprache noch knapp 40 Jahre, um eine zweite Heimat in einer zweiten Sprache zu erschaffen. Für mich ist allerdings dieser Zug abgefahren. Denn würde ich in ein Land fremder Sprache auswandern, bliebe nach der Eingewöhnung in die nunmehr neue Heimat und während der Beherrschung einer zweiten Sprache keine Zeit mehr, die neue Heimat zu genießen.

Andererseits wird das sogar in der alten Heimat immer unmöglicher, da die deutsche Sprache mit großen Schritten dabei ist, zu verschwinden. Sie löst sich gegenwärtig auf. Schon heute sind Beschreibungen der Realität kaum noch möglich, da täglich mehr Worte, Bezeichnungen und Redewendungen tabuisiert werden. Das Volk wird stummgeschaltet. Was genau ich meine, das kannst du hier in einem einstündigen Vortrag nachhören, in dem Peter J. Brenner die Auflösung der Sprache in einer sich auflösenden Gesellschaft verständlich beschreibt.

Für mich wäre das Bewahren der alte Sprache aber nicht der Grund, die Heimat durch Auswanderung zu verlassen. Wäre es der Fall, müsste ich geradezu sogar zwingend auswandern, denn in der Diaspora könnte die Heimatsprache eine Nische fürs Überleben finden. Es ist aber die neue Sprache, für deren Erlernen und Beherrschen mir keine Zeit bleibt.

Ähnlich verhält es sich mit der geografischen Heimat. Bis auf 4 Jahre in Berlin verbrachte ich mein Leben im Großen und Ganzen am Niederrhein. Diese Landschaft hat mich seelisch geprägt, sie ist meine geliebte Heimat. Aber sie hat nichts mit politischen Grenzen oder Sprachgrenzen zu tun, da sich der Niederrhein gleichfalls durch Belgien und Holland zieht. Also bereits gestern und heute war und ist meine Heimat nicht allein deutsch. Auch hat der Niederrhein nichts einmalig Besonderes an sich, ähnliche Landschaften gibt es wahrscheinlich tausendfach auf der Erde. Eine neue geografische Umgebung in Anlehnung an den Niederrhein könnte zudem sogar ein viel innigeres Heimatgefühl erzeugen. Zusammengefasst lässt sich somit sagen, dass die Landschaft für mich als Heimat nicht entscheidend ist, denn überall dort, wo man die Freiheit schätzt, wo ich sie fühle, da ist mein zu Hause, und wo zu Hause ist, ist Heimat.

Warum denn auswandern?

Fortlaufen, um den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu entfliehen? Den hohen Steuern und Lebenshaltungskosten? Flucht wegen des Verlustes der Freiheit? Wegen der vielen Verbote? Wegen der Islamisierung Deutschlands? Das wären für mich recht armselige Gründe, denn ich würde nur dann auswandern, wenn die neue Heimat mir gewinnbringende persönliche Vorteile der Entfaltung böte, nicht aber wegen Einschränkungen der eigenen Unabhängigkeit, denn noch fühle ich mich geistig flexibel genug, sie zu umgehen. Noch kommt keiner für die Sehnsucht nach Freiheit ins Gefängnis. Wenn das der Fall wäre, würde ich natürlich sofort auswandern, aber die neue Heimat wäre dann nicht ein endgültiges Sehnsuchtsland der Freiheit, sondern ich würde sie als Diaspora betrachten, in der Hoffnung, irgendwann wieder zurück in die alte Heimat zu gelangen. So lange ich für mein Leben also nicht ins Gefängnis geworfen werde, macht es für mich mehr Sinn, für den Erhalt der alten Heimat zu kämpfen. Man kann doch nicht sagen, man überlässt kampflos die Heimat einfach den Irrsinnigen oder den religiösen Fanatikern. Ist denn der Kulturkampf bereits entschieden? Nein.

Kulturelles Asyl in Ungarn?

Überdies kann ich mir nicht vorstellen, dass eine einzelne europäische Nation sich dauerhaft der schleichenden Islamisierung wird entziehen können. Auch die Wokeness verbreitet sich in allen Demokratien des Westens epidemisch aus. Beides mag an manchen Orten langsamer vonstatten gehen als an anderen, doch die globale „Transformation” schreitet unaufhörlich fort. Sie breitet sich wie eine seltsame Krankheit aus. Wie eine Art moderner Pest des Mittelalters; es ist die Sehnsucht nach Selbstzerstörung, nach der Apokalypse, und zwar weniger von außen gesteuert, als viel mehr angelegt in jedem einzelnen Kopf. Dabei fortschreitend und somit kollektiv wirksam. Man wird sich dem nicht innerhalb eines europäischen Landes entziehen können. Vorübergehend, das mag sein, doch dauerhaft, das glaube ich nicht.

Was ist, wenn Victor Orban nicht mehr da ist? Was, wenn die USA als weltweite Leitkultur ethisch und wirtschaftlich zerfällt? Welche globale Identität wird an ihrer Stelle treten? Eine als Sozialismus getarnte Diktatur nach chinesischem Vorbild? Oder werden wir doch einen weltweiten Bürgerkrieg erleben?

Zwar denke ich nicht, dass die EU im Spiel um das Neue, das zweifelsohne kommen wird, irgendwelche ernstzunehmenden Chancen hat, sich durchzusetzen, aber kleine Zufluchtsländer, Orte der Restfreiheit, werden erst recht im weltweiten Netz der Abhängigkeiten zum Widerstand außerstande sein. Wir sehen diesen Trend ja bereits heute: Polen und Tschechien haben bereits vor der EU kapituliert. Die Frage steht im Raum, vor wem die EU kapitulieren wird. Nationale Eigenheiten verschwimmen im Pool des weltweiten Agierens von Wirtschaft und Kommunikation. Alles verwischt sich. Wenn dann eine grassierende moderne Pest, wie eingangs erwähnt, hinzu kommt, beginnt ein Krieg. Anfangs nur in den Köpfen, am Ende real ausgefochten mit schrecklichen Waffen. Danach erst sind alle Karten neu gemischt, und es wird sich zeigen, wer welches Blatt im neuen Spiel bekommt und wer dann dominiert.

Jene Mehrheit junger Leute, die sich heute nach der Apokalypse sehnt, wird sie schlussendlich auch bekommen, das ist doch klar. Dagegen helfen leider keine Ländergrenzen, denn die Pandemie der Selbstzerstörung frisst sich langsam aber unaufhaltsam auch in ungarische Köpfe.

Evolution als Veränderung?

Seit geraumer Zeit hege ich den Verdacht, dass dies vielleicht sogar eine Art evolutionärer Entwicklungsprozess sein könnte. Ich behaupte nicht, dass es an einer Überbevölkerung liegt, sie mag ein Mosaiksteinchen sein, aber – jetzt kannst du mich ruhig auslachen – die Entwicklung lässt sich mit einer Fischpopulation am besten bildhaft erklären: Bei ungünstigen Bedingungen schrumpft diese Fischpopulation. Kein einzelner Fisch versteht, was da geschieht, doch das Schrumpfen hilft, zu überleben. Sind die Gegebenheiten wieder günstig, wächst die Population erneut. Wir Menschen sind klug, wir wissen um die Gründe, die so etwas hervorrufen, doch wir wissen nach wie vor nicht, wie das konkret biologisch funktioniert. Genauso wenig können wir das Schwarmverhalten der Vögel erklären: Auch hier wissen wir um die Gründe, doch wie es funktioniert, dass simultan jede Bewegung des Schwarms in jeden einzelnen Vogelkopf gerät und sein individueller Flug im Bruchteil einer Sekunde sich dem des Schwarms anpasst, das ist nach wie vor ein Rätsel. In dieser Weise meine ich es auch beim Menschen: Würdest du von außerhalb auf die Menschheit schauen, wie z.B. in einen Fischteich, und würdest du den Faktor Zeit dabei anders wahrnehmen können, dann sähest du in einer Art Zeitraffer Zivilisationen entstehen, wachsen und wieder vergehen. Und das über Jahrtausende hinweg, ständig und an verschiedenen Orten: Entstehen, wachsen und vergehen. Man kann die Gründe erklären – besonders im Nachhinein -, doch wie die „Mechanik” dessen, wie die augenscheinlich automatischen Prozesse dabei zusammenwirken, wie sie rein technisch funktionieren, das weiß kein Mensch, darüber wird nur spekuliert.

Die Welt, wie wir sie heute kennen, gibt es erst wenige Jahre. Diese paar Jahre sind kein Garant, dass es immer so bleibt. Wenn Putin vom Ende der bipolaren Weltordnung hin zu einer multipolaren spricht, so sind dies weise Worte. Innerhalb des größten Vielvölkerlandes haben die Russen sicher die größte Erfahrung, was den Zusammenhalt vieler unterschiedlicher Kulturen betrifft. Daher wundern mich seine Erkenntnisse auch nicht. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, Russland ist uns in dieser Hinsicht weit voraus. Trotzdem bleibt der Ausgang ebenfalls für Russland ungewiss, denn auch dieses Land ist vor der „modernen Pest” nicht endgültig gefeit. Die Wokeness ist dabei nur ein Bruchstück unter vielen, ein Ausdruck oder ein erster Schritt zu eben dieser Selbstzerstörung. Auch ohne die Wokeness schreitet die Auflösung der Gesellschaften voran. Ob sie überhaupt irgendwo lokal aufzuhalten ist, bleibt in einer bis ins Kleinste globalisierten Welt fraglich.

Warum siehst du eingangs das Bild von „Monomond”?

Auswandern auf den Mars oder den Mond, eigentlich noch weiter weg, wo keine Kommunikation mit der Erde mehr möglich ist – das wäre tatsächlich die einzige sichere Möglichkeit, eine bestehende Kultur dauerhaft zu bewahren, würde ich sagen. Deshalb lautet ja auch seit nunmehr Jahrzehnten als Ausdruck meiner inneren Emigration in die virtuelle Welt, die ich ab Mitte der 1990er Jahre noch suchend als „Capt.GB” in seinem „Shipodrom” (Raumschiff) pflegte (Asche auf mein Haupt, das war 1995! Und funktioniert nur noch vereinzelt). Wenig später etablierte ich dann mein Internet-Pseudonym „Monomond” als ein in Gedanken, Gefühlen und mit all meiner Fantasie versehener quasi-virtueller Mensch, angekommen im Exil der Sterne oder: Längst ausgewandert zu den Sternen ins Land of the Freedom.

Noch Fragen? 🙂

Ja. Was ist mit der Liebe?

Hinzugefügt als Nachtrag vom Inneren Ich. Es sagt: „Den besten Grund für eine Auswanderung überhaupt hast du, Herr Monomond, noch gar nicht erwähnt. Nämlich die Auswanderung der Liebe wegen. Der Liebe zu einer Person oder der Liebe zu Land und Leuten.”

Stimmt!