Rechtfertigungsorgie

Und da war er eingeschlafen. Es funktioniert anscheinend wieder mit dem Schlafen: 8,5 Stunden Nonstop.

Warum hatte ich den gestrigen Eintrag gelöscht? Ganz einfach, denn damit hätte ich mich selber wegen Copyrights-Verstößen angreifbar gemacht. So etwas kann man in der heutigen Zeit, in der das Land mit lauter Meldestellen überzogen ist, nicht mehr machen. Die Denunziation ist leider zu einer Art Volkssport geworden. Ich habe aber ein ziemlich eigenes Verständnis davon, was illegales Verhalten betrifft. Insbesondere halte ich die Frist von 75 Jahren, bevor geistiges Eigentum gemeinfrei wird, längst für nicht mehr zeitgemäß. Und bevor jetzt jemand die Moral als Argumentationshilfe hervorkramt, möchte ich nur mal kurz daran erinnern, dass es zum guten Ton der meisten Leute gehört, heute beispielsweise Bezahlschranken bei Zeitungsartikel kreativ zu umgehen, dass seit den 1980er Jahren selbstverständlich Musik, Filme oder Spiele „illegal” erworben werden (wer hatte je ein schlechtes Gewissen, auf Floh- oder Polenmärkten raubkopierte CDs, später DVDs zu kaufen?) und natürlich auch diverse Textil-Plagiate, woher auch immer, zu erhalten. Da ist es mit der persönlichen Moral dann ein klein wenig leichtgewichtiger. Es ging und geht nämlich nie darum, einem Autor oder einem Designer die Entlohnung für sein Schaffen zu entziehen, sondern der Geschäftemacherei entgegenzuwirken. Das ist ein weites Feld, über das ergebnislos endlos diskutiert werden kann, weshalb ich’s nun dabei belasse.

Als Kind wuchs ich in der Obhut dreier erzkatholischer unverheirateter Großtanten auf u.a. einer freischaffenden Hebamme, die noch bis in die 1960er Jahre gemeinsam mit ihren Freundinnen, Nonnen des dörflichen katholischen Stifts mit angeschlossenem Hospital, regelmäßig über die nahegelegene holländische Grenze fuhr (was ich schon mehrmals hier im Tagebuch erzählte), um unter den Röcken dieser Nonnen kiloweise Kaffee und literweise Likörchen zu schmuggeln (unter anderem auch als gerngesehenes Mitbringsel für den Kaplan und den Herrn Dechant der Gemeinde „Sankt Peter und Paul”). Auch wenn ich als Kind noch nicht verstand, wozu ich auf deren Schoß sitzend im Auto über die damals noch stark kontrollierte Grenze mitfahren durfte (für mich war’s ein Abenteuer), so haben mich diese Erfahrungen wohl tatsächlich geprägt. Denn die in der dörflichen Gemeinde moralisch am höchsten angesehenen und vollkommen integeren Frauen waren die reinsten Steuersünderinnen vor dem lieben Gott – oder anders ausgedrückt: Sie begingen wissentlich, präzise und mit List und Tücke geplant ihre illegalen und unter drastischer Strafe stehenden Fahrten mit dem heiligen Segen desselben wertgeschätzten Gottes.

Falls jetzt jemand weiterhin sagt, dies sei nicht das gleiche wie bei Copyrightsverstößen im Internet: O doch, es ist juristisch in der strafbewehrten Konsequenz tatsächlich identisch, wenn auch heute virtuell begangen.

Natürlich ahnte damals jeder, woher die gigantische, nie enden wollende Fülle der Köstlichkeiten stammte, die freigiebig im Stift auch an Besucher ausgeschenkt wurde, Denunzianten gab es aber nicht. Das hat sich heute komplett geändert, was ich immer wieder in meiner schier grenzenlosen Naivität vergesse. Daher bin ich auch sehr dankbar, wenn mich jemand auf meine allzu offenherzigen Alltagsbeschreibungen hier im Tagebuch hinweist.

So, das also zur Erklärung der Selbstzensur sozusagen. Es ist übrigens dasselbe, was für den Bezug mancher Ingredienzien der fürs E-Dampfen praktizierten Mischorgien anbelangt. Auch diese Erklärung hatte ich letztes oder vorletztes Jahr wieder gelöscht. Denn was gestern noch legal war, ist mittlerweile illegal und strafbar. Daher besitze ich eben einen eigenen inneren Kompass von – im weitesten Sinne – der Gerechtigkeit oder der Moral. Der Unterschied von heute zu früher besteht nur darin, dass heute die Gesellschaft überwiegend danach trachtet, dem anderen möglichst einen ans Zeug zu flicken, während früher eine gesellschaftliche Solidarität vorherrschte, dem ausbeutenden Staat ein Schnippchen zu schlagen. Heute geht’s schon bei Kleinigkeiten gegeneinander, früher ging’s miteinander. Das wird sich aber auch wieder ändern, da bin ich ganz zuversichtlich. Bis dahin: „The Times They Are a-Changin‘”.

3 Kommentare
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Barbara
Gast
Barbara
1 Monat zuvor

Copyright betrifft uns auch, was die unberechtigte Nutzung unserer Fotos angeht. Da durchforstet eine Software 24/7 das Internet und der Anwender bekommt eine kostenpflichtige Abmahnung. Der weiß allerdings, dass er im Unrecht ist, die Fotos sind entsprechend gekennzeichnet.
Aber gesamt gesehen treibt das schon groteske Blüten, deshalb ist größte Vorsicht angebracht. Der Mann hatte das Schild „Oide Wiesn“ fotografiert und über seine Bildagentur vermarktet. Da bekamen wir eine Abmahnung über mehrere Tausend Euro. Wir konnten es dann abwenden, weil wir nur einmalig 30 Öcken damit verdient hatten. Aber die Anwaltsrechnung blieb uns trotzdem. Es ist so, dass du inzwischen auch keine öffentlichen Gebäude wie z.B. Schloss Nymphenburg ablichten darfst, das Copyright hält die Schlösserverwaltung. Veröffentlichst du es, kriegst du prompt eine Abmahnung.
Ich weiß nicht, worum es bei dir ging, aber du hast richtig gehandelt.

Zeitungsartikel gäbe es schon, die ich gerne lesen würde. Mal schauen…