Vorarbeiten

Herrje! Nu‘ kann ich mich kaum noch bewegen. Zuerst anderthalb Stündchen im Wald unterwegs und danach konnte ich’s einfach nicht lassen: Habe das alte monströse Bett alleine auseinandergenommen und alles samt Matratze nach und nach mit und ohne Sackkarre in den Keller verfrachtet. Sogar der Akku des Akkuschraubers hat dabei schlapp gemacht (es war gottlob ein zweiter geladener vorhanden). Jetzt nur noch saugen und wischen, dann steht der Platz für den Aufbau des neuen Betts bereit. Eigentlich wollte ich das alles im Laufe des morgigen Sonntags machen, doch es ist ein ziemlich gutes Gefühl, damit jetzt schon fertig zu sein. So schmeckt das Stückchen Kuchen und das lecker Tässchen Kaffee im Küchenerker nochmal so gut.

Inneres Ich: „Und wo schlafen wir die nächsten zwei Nächte, hmm?”

Das kann die Matratze auf dem Boden liegend ab. In zwei Tagen schimmelt da nichts.

Inneres Ich: „Das woll’n wir hoffen, du erinnerst dich sicher noch …”

Ja, vor annähernd 50 Jahren – das Bild hat sich in meinem Kopf eingeprägt, als wäre es erst gestern fotografiert worden, schlief ich mit meiner damaligen Teenager-Freundin in der ersten eigenen Wohnung mangels Geld für ein Bett auf zwei Matratzen auf dem Boden. Alles schien monatelang einfach nur herrlich zu sein, Freiheit! Die Welt gehörte uns. Wir dachten, wir seien endlich erwachsen und so – bis ich die Matratzen aus heute nicht mehr erinnerten Gründen angehoben hatte: Ein dicker Teppich aus fröhlich sprießenden bunten Schimmelpilzen wuchs in einer Art Feuchtbiotop direkt unter der jugendlichen Spielwiese.

Trotzdem sind zwei Nächte auf dem Boden völlig in Ordnung. Noch’n lecker Tässchen Kaffee gefälligst? Stückchen Kuchen dabei?

Elli im Schnee

Achherrje, auf der Suche nach einem schönen Film, stieß ich im Archiv auf diesen Schnipsel, den ich seinerzeit (2008 herum) einfach so in diesen Ordner gesteckt hatte. Nur 40 Sekunden lang. Gefilmt mit einem alten Klapp-Handy: „Elli im Schnee”. Was hatte sie für einen Spaß im Schnee!

Man erkennt nicht wirklich viel auf diesem Schnipsel. Elli besaß nur zwei gesunde Beine, vorne und hinten links. Auf der rechten Seite waren die Beine verkrüppelt und hingen in der Luft. Trotzdem war das im Spiel und im hohen Schnee fast gar nicht zu erkennen. Elli konnte verflucht geschickt auf nur zwei Beinen laufen. Das war sie vom Welpenalter an nicht anders gewohnt.

Jedenfalls wurde mir bei diesem Zufallsfund doch arg melancholisch zumute. Und weil ich es dir an diesem Ort nicht anders zeigen kann, habe ich den Schnipsel mal ebkes auf YouTube hochgeladen. Für so etwas finde ich YouTube ja echt praktisch.

Süßer Traum, Stollengebäck und Rauhnächte

Eigentlich noch eine Fortsetzung von gestern: Denn gegen Mitternacht legte ich mich aufs Sofa und schlief ein Stündchen recht tief und fest. Ich träumte wirres aber wunderschönes Zeug aus meiner Studentenzeit mit Anfang/Mitte 20. Der Traum war so real, dass ich unmittelbar nach dem Aufwachen und noch auf dem Sofa liegend mein Telefon (kabelgebundenes Festnetzt-Telfon mit Wählscheibe) suchte, da ich unbedingt Claudia anrufen wollte, um ihr endlich zu sagen, wie sehr ich sie doch liebe, wie unfassbar weiß und rein meine Gefühle für sie waren und wie tief und bedeutend diese Zuneigung für sie war. Tja, so ist das mit den selbstverschuldeten vertanen Chancen, denn ich fand das Telefon nicht mehr.

Also begab ich mich schnurstracks in den nächsten Baumarkt, um ein neues zu besorgen. Der Techniker in der Telekommunikationsabteilung schüttelte nur seinen Kopf und sprach voller Bedauern: „Wie schade! So etwas führen wir hier leider noch nicht.” „Mensch”, fügte ein Kollege hinzu, „wir sind bereits heilfroh, bei der Geschäftsleitung durchbekommen zu haben, die Anschlüsse im Markt jetzt nach Weihnachten endlich auf ISDN umstellen zu können.” [Achtung: Traum und Logik haben bekanntlich nichts miteinander zu tun.] Somit blickte ich voller süßem Trennungsschmerz der nur wegen technischen Unzulänglichkeiten entstandenen vertanen Vereinigung einer bergsee-klaren gar heiligen Innigkeit hinterher, „bis dass der Tod euch scheidet” – und erwachte abermals; diesmal aber in Echt.

Leicht frustriert, überraschenderweise wirklich nur leicht und eigentlich auch weniger wegen des Bergsees wahrer Liebe als vielmehr wegen des Endes der süßen Träumerei, machte ich mich über das Stollengebäck her, jenes aus der Weihnachtstüte der Firma, für deren Öffnen ich mich bis heute bewusst und charakterstark zusammengenommen hatte (nicht vor Weihnachten öffnen! Und auch nicht an den Arbeitstagen, denn sie ist vorgesehen allein für den ersten freien Tag danach! Für meine persönliche Weihnacht). Bei einer frisch aufgebrühten Tasse Bohnenkaffee schmeckt dieses Stollengebäck vorzüglich; da hat sich jedes Warten gelohnt. Ganz anders als die junge Liebe. Doch gerade ihr Verlust, also als es auf der Kippe stand, real zu werden oder für immer ein Traum zu bleiben, verstärkte die leicht melancholische Stimmung und verwandelte den Stollen mit dem leckeren Tässchen Kaffee erst recht in einen seltenen weihnachtlichen Genuss, den ich langsam und mit maximal zeitlicher Verzögerung bis vorhin ausgedehnt hatte.

Selbst die eingeriebenen Reste des Puderzuckers in T-Shirt und Jogginghose können mich nicht mehr ärgern, denn nach einem Jahr in der neuen Wohnung habe ich ja endlich eine Waschmaschine. ’s geht also ab in die Wäschetonne. Wieso ich zwischen den Jahren nicht wasche? Bis zum 6. Januar herrschen die „Rauhnächte”. In diesen Tagen öffnet sich das Geisterreich und die Grenzen zwischen dem Jenseits und dem Diesseits verschmelzen miteinander. So wie in einem Traum. Wenn dann die Geister herumschwirren, besteht für sie die Gefahr, sich in der aufgehängten Wäsche zu verirren oder sich in den gespannten Leinen zu verfangen. Deshalb bringt es Unglück, in dieser Zeit zu waschen. Mit einem Trockner müsste es wahrscheinlich schon gehen, doch für den hätte ich sowieso keinen Platz. Also zwei Wochen Waschpause 🙂

Waschtage der Erinnerung

Kannste dir vorstellen, wie hoch mein Wäscheberg angewachsen war, wenn ich dir nun sage, dass gerade die 5. Maschine läuft und noch mindestens eine weitere folgen wird? Jajaja, so was kommt von so was her. Danach ist der Waschsalon aber erst mal wieder geschlossen. In dem Grau gibt’s draußen eh nichts anderes als eben Grau zu sehen. Von daher verpasse ich durch die Waschtage auch nichts. Übrigens kann ich mich noch sehr gut an den Winter 1983/84 erinnern, in dem sogar viele Wasserleitungen eingefroren waren.

Mit der damaligen Freundin lebte ich in einer winzigen Wohnung mit Kohleofen, der zwar wunderbar funktionierte, keiner musste frieren, doch er reichte nicht fürs kalte Badezimmer, in dem die Wasserleitungen von draußen eingefroren waren. Wir beide mussten gut eine Woche lang nur mit einer Katzenwäsche aus einem Kanister an der Küchenspüle vorlieb nehmen. Da wir aber so sehr ineinander verliebt waren, jung sowieso, störte all das nicht im Geringsten. Vielleicht habe ich diese Zeit auch gar nicht wegen des bitteren Winters in Erinnerung, sondern hauptsächlich der vergangenen Liebe wegen. Irgendwie finde ich die Abgebrühtheit des Lebens, die sich im Laufe der Jahre bei jedem einstellt, ziemlich schade. Wäre es nicht viel schöner, so wunderbar jung und naiv ein Leben lang zu bleiben?

Inneres Ich: „Heißt das jetzt, dass es bei den milden Wintertemperaturen auch keine Erinnerungskerben ins Holz der Gehirne der heute jungen Menschen mehr geben wird?”

Wasser friert nicht ein, das stimmt. Aber im Januar könnte durchaus der Strom ausfallen, was dann zu ähnlichen Erfahrungen führen würde. Erfahrungen, auf die wir uns heute schon freuen können, denn hat nicht der schwachköpfige Kinderbuchautor jüngst seine Antwort gegeben, indem er für die Kleinen eine Zeit ohne Strom als herrlich romantische Erfahrung des Miteinanders im Kerzenschein schilderte?

Inneres Ich: „Dann schnell noch eine Maschine, bevor nichts mehr geht.”

So isses.
Gehab dich wohl, liebe Leserin und lieber Leser, bis morgen in alter Frische.

One World No Borders ?

„One World! No Borders!”, so lautet bekanntlich das Credo der links-grünen Wokeness heutzutage, und ich muss gestehen, wenn auch ein wenig beschämt ob der eigenen Naivität, dass ich in meiner Jugend ähnlich dachte. Ähnlich aber nicht identisch. Und nicht fordernd hinausbrüllend, sondern vielmehr als eine philosophische Gesellschaftsfrage für die Zukunft. Also eher als eine Idee, die besprochen werden sollte.

Grenzen bedeuteten in den 1960/70er Jahren für uns Deutsche etwas völlig anderes als nur eine Schranke; der Eiserne Vorhang teilte unser Land, noch gab es keinerlei Auflösungserscheinungen. Wenn ich aus dem Fenster des Zuges beim Durchqueren in eben diese DDR sah, so erhaschte ich ein paar flüchtige Blicke in eine mir vollkommen fremde Wirklichkeit, die sich beim näheren Hinsehen aber doch gleich mit der eigenen darstellte: In den frühen Tagesstunden hasteten unter gelben Laternen der Straßenbeleuchtung Menschen zu ihren Zügen und Bussen, unterwegs zur Arbeit, auf Bänken wartend, lesend, vereinzelte Autos waren zu sehen, der morgendliche Verkehr begann – alles ganz normal aber doch so fremd wie von einem anderen Stern, denn kein Wort durfte mit ihnen gewechselt werden; selbst wenn der Zug mal stand und wartete, es war an Aussteigen, um ein Tässchen Kaffee zu trinken oder ein Schwätzchen zu halten, nicht zu denken. An das Gefühl dieser Absurdität erinnere ich mich als sei es gestern erst gewesen; Grenzen bedeuteten damals nicht alleine Staatsgrenzen, sondern Grenzen komplett anderer Gesellschaften. Aber die Menschen, die Deutschen hier und die Deutschen da, sie waren gleich. Was hat der Alltag mit Politik zu tun?, begann ich mich in jener Zeit zu fragen.

Das war allerdings nicht bloß an der DDR-Grenze so:

Die Grenze zu Holland war ähnlich strikt ausgebaut. Keine Selbstschussanlagen natürlich, so aber doch bewachte Zäune sogar entlang der Grünen Grenze. Als ein Junge, der in 5 Kilometer Entfernung von der Grenze aufgewachsen war, bot diese Grenze ein ebenso absurdes Bild: Wolltest du die Grüne Grenze überschreiten, was wir regelmäßig und oft taten, so wussten wir, dass im schlimmsten Fall auch dort mit Schusswaffengebrauch zu rechnen war. Hüben wie drüben gab es aber unsere sozialen Kontakte, es wurde dieselbe Mundart gesprochen, in der eigenen Familie gab es Holländer, doch quasi Mitten auf der Landstraße von einem Ort zum anderen, musste man eine stark bewachte Grenze überschreiten. Junge 18-jährige, die nicht aussahen wie der artige Schwiegersohn, wurden von den deutschen Zöllnern behandelt wie Kriminelle. Was sich diese dummen Menschen alles herausnahmen, herausnehmen durften, war atemberaubend. Sexuelle Übergriffigkeiten bei damaligen nicht volljährigen Mädchen, Freundinnen, die in meinem Auto mitfuhren, waren noch harmlos, im Vergleich zu dem, was meiner „Ente” geschah, denn sie wurde einmal sogar fast komplett zerlegt mit enormen Folgekosten für mich, und das war nur meiner äußeren Hippie-Erscheinung zu verdanken, die die Grenzer nicht leiden konnten. Deutsche Zöllner besaßen noch eine sagenhafte Macht gegenüber den kleinen Leuten, und die wurden von ihnen je nach Lust und Laune drangsaliert. Wie unwürdig eine Leibesvisitation ist, können sich junge Leute heute nicht mehr vorstellen. Wer einmal nackt vor Grenzern stand und diverse Witze ertragen musste, weiß, wovon ich rede. So etwas war an der holländischen Grenze auf deutscher Seite gang und gäbe. Die holländischen Grenzer waren übrigens nie übergriffig, das nur mal so nebenbei erwähnt.

Was ich damit sagen möchte: Zu jener Zeit zerschnitten Grenzen den Alltag der Menschen ohne jeden Sinn und Verstand. Der Gedanke „No Borders!” war daher ganz und gar nicht naiv, sondern er wurde von der Politik aufgegriffen und die europäischen Grenzen in der Folge gottlob abgeschafft. Die Grenzen zerschnitten einen gemeinsamen Kulturraum, das ist so widersinnig, als würden heute an den Bundesländern wieder Grenzkontrollen eingeführt werden.

In jenen Jahren meiner Jugend boomten die Pauschalreisen. Ganze Gruppen Neckermann-Touristen wurden ins Ausland zu allen möglichen Sehenswürdigkeiten gekarrt. Gedankenlos schlenderten sie in Badeschlappen durch Gemäuer und Gebetshäuser, gleich welcher Religion. Halbnackt beobachteten sie das Alltagsleben der Einheimischen auf diversen Märkten oder sie schauten sich von geschützten Terrassen bei einem genüsslichen Cocktail das Strampeln der Einheimischen ums tägliche Überleben an. Das haben die Touristen nicht aus Böswilligkeit so getan, sondern aus kultureller Unwissenheit, denn der gemeine Mitteleuropäer fühlte sich in einem gigantischen Disney-Land. Der deutsche Reisepass galt über Jahrzehnte als Premium-Papier, das alle Türen der Welt öffnete. Damals gab es also trotz der vorhandenen Grenzen für die meisten von uns „No Borders!”, denn, ach, was kostet die Welt? Wie selbstverständlich lag dem zahlungskräftigen Westler eine grenzenlose Welt zu Füßen.

Natürlich fanden wir junge Menschen diese Arroganz schlimm. Wir verreisten in unserer begrenzten Urlaubszeit individuell, kleideten uns nach Art der Einheimischen und glaubten, solches Anbiedern an die Lebensumstände und Sitten würde die Kluft zwischen arm und reich überwinden. Doch im Grunde genommen war das ebenfalls ein Abenteuerurlaub, denn unser Pass schützte uns vor allzu großer Willkür staatlicher oder halbstaatlicher Repressionen und das Notfall-Rückfahrtticket war bereits im Pass eingepreist.

Was es wirklich bedeutet, „One World! No Borders!”, davon hatte der Normalbürger West-Europas der 1970er Jahre genauso wenig eine Vorstellung wie die Leute heutzutage. Was wir damals und heute im Urlaub erleben, ist nichts anderes als ein Besuch im Zoo. Es gibt etliche gute Science-Fiction-Filme, die dieses Thema mehr oder minder gelungen beschreiben. Die einzigen Europäer, die kompetent davon berichtet haben, was es bedeutet, in einem fremden fernen Land ein neues Zuhause zu erschaffen, das sind die Auswanderer der vergangenen Jahrhunderte insbesondere der großen Auswanderungswellen ins gelobte Land Amerika. Da gab es weder Bürgergeld, noch Smartphones, ein Zurück war meist nicht möglich. Wie man sich „One World!” heute vorstellt, das ist nach wie vor ein Urlaubsparadies: Wohne eine Zeitlang hier oder dort, wo du gerade möchtest, jette hin und her, oder werde zum Globetrotter mit verkümmerten Wurzeln und ganz ohne Heimat. Wer aber den Ort seiner Sehnsucht liebt, Teil des Landes wird, der möchte es auch bewahren; so verwundert es nicht, dass die Aktion, die Einwanderer in aller Herren Ländern immer zuerst gemacht haben und heute noch machen, das Ziehen von Grenzen ist: Kulturelle Grenzen, familiäre Grenzen, religiöse Grenzen, Besitztumsgrenzen, Landesgrenzen.

„No Borders!” bedeutet eben nicht einfach, alle in ein Land zu lassen; so widersprüchlich es auch klingt, das grün-linke „No Borders!” bedeutet mehr Grenzen als jemals zuvor. Wenn wir weiterhin alle in unser Land einreisen lassen, werden wir uns vor lauter neuer Grenzen nicht mehr frei bewegen können.

Luxusproblem besentechnischer Natur – Lösungsansätze

Dank Barbaras Tipp ist das hier nun die Lösung meines Fussel-Problems. Es stimmt zwar, was ich über den schmalen Besen mit normalen Borsten schrieb; in seinen Borsten sammelt sich weniger Staub, doch das Fege-Ergebnis lässt zu wünschen übrig, denn ich musste den Fusseln damit förmlich nachjagen. Die sind nämlich dermaßen freiheitsliebend oder uneinsichtig, dass sie mühelos über oder seitlich neben den Besen sprangen und dann wie kräftig angeschubst erstaunliche Wegstrecken zurücklegten. Man könnte ihr Verhalten schon als eine ordentliche Provokation verstehen, wenn nicht gar als eine delegitimierende Verhöhnung des starken Arms. Wie immer: Auf ein Bild klicken = größere Ansicht.

Nun denn, abgesehen vom vorherigen Lehrgeld, kostet so ein Gummiborstenbesen ohne Stiel bei Rossmann tatsächlich nur 3,99 Euro. Alter Besen abgeschraubt, neuer aufgeschraubt, und siehe da, schon ich bin wieder uneingeschränkter Herr über die vielen Fusselschweine. Klappt ausgezeichnet!

ABER: Bei Rossmann im Laden war ich mal wieder leicht überfordert. Denn neben dem tollen Noppenbesen lag doch tatsächlich ein „Wunderkehrer” aus Schaumstoff. Ehrlich, der nennt sich laut Etikett selber so. Mein leichtgläubiges Herz und mein manipulationsanfälliges Gehirn ließen mich dann unschlüssig im Gang stehen: Der oder der oder beide? Ich tendierte wegen der größtmöglichen Studienobjektivität für die anstehenden Untersuchungen im heimischen Verbraucher-Testlabor ja bereits für beide, benötigte aber noch den winzigen Entscheidungsimpuls von außen. Zufällig hielt sich eine Mitarbeiterin im Gang auf. Ich fragte sie angesichts des Namens, ob man damit beim Fegen denn auch tatsächlich Wunder erleben werde: „Was glauben Sie?” Darauf antwortete sie im ernsten Tonfall: „Oja! Den habe ich auch zu Hause. Da brauchen Sie nur leicht drüberziehen und weg ist der Dreck.” Was hat Rossmann doch für ambitionierte und in der Verkaufsförderung fachlich kompetente Mitarbeiterinnen, ich musste staunen. Also kaufte ich beide, war eh klar. Auch das Schaumstoff-Wunder kostet nur 3,99 Euro. Welcher nun besser ist, das wird sich erst noch erweisen. Ich tendiere aber zum Noppenbesen, weil beim Schaumstoffwunder die Kehrbewegung nach vorne unkomfortabel ist. Das mag er nicht so auf trockenem Boden, nur ziehen, das geht leicht. Beim Noppenbesen hingegen geht beides gleich gut. Das sagt aber noch nichts über das Ergebnis nass-trocken usw. aus. Eine umfängliche Vergleichsstudie beginnt in den nächsten Tagen.

Luxusproblem besentechnischer Natur

Einen neuen Besen wollte ich haben und einen neuen Handfeger samt Kehrblech. Weil, wie du auf dem ersten Bild gut sehen kannst, der rechte alte Besen viel zu breit ist und sich in ihm eine Menge des Staub-, Haar-, Brösel-, Krümel- und Werweißwas-Gemischs ansammelt, was beim nächsten Fegen sich munter wieder auf den Boden verteilt. Die Reinigung nach (eigentlich) jedem Kehrvorgang mit den Händen war mir als fauler rational denkender Mensch viel zu aufwendig. Bei der schmalen Besenfläche des linken Besens ist das alles ratzfatz erledigt. Damit muss ja kein Ballsaal gefegt werden, sondern nur meine kleine Hütte, nicht wahr? Per Amazon ebkes schnell die Bilder angeschaut, den erstbesten Besen ausgewählt und fertig. Klick auf ein Bild = groß.

Dasselbe galt auch fürs Handfeger-Set. Da ich auch hierbei gar nicht erst den Text zum Bild gelesen hatte (schau dir das zweite Bild an, ist doch sonnenklar, was es ist, oder?) und ich das Set also nur aufgrund eines Blickes in den Einkaufskorb gelegt hatte, entpuppte es sich (drittes Bild) eher als Utensil für ein Puppenhäuschen. Es ist ein sogenannter Tischfeger, wie ich jetzt im Nachhinein gelernt habe. Das Wort kannte ich zuvor gar nicht, ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt.

Tja, vertan, vertan, sprach der Hahn …

Nachtrag: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Von Enten, Spatzen und warmen Federbettchen

So, da isser wieder, der Jeorch. Feiertag ist hier in NRW. Sag das mal den Enten. Als ich gegen 7 Uhr die Jalousien hochgezogen hatte, saßen direkt vor den Fenstern – ich hätte nur den Arm ausstrecken müssen, um sie zu berühren – 9 wunderschöne Enten mit purpurfarbenen Köpfen und Hälsen. Sie warteten auf ihr Frühstück, das sie von meiner netten Nachbarin morgens immer bekommen. Das Bild dieser Enten war deshalb besonders lustig, weil sie alle noch nicht den Schlaf aus hatten. Die einen saßen oder standen auf einem Bein mit den Köpfen nach hinten in den Federn, die anderen reckten Beine und Flügel, wieder andere hypnotisierten konzentriert die Terrassentür der Nachbarin. Zwischen ihnen flatterten hektisch locker zwei Dutzend Spatzen umher. Was taten die? Sie sammelten flauschige kleine Federn ein, die durch das Recken und Strecken der Flügel den Enten aus deren Gefieder fielen. Ziemlich geschäftig flogen sie damit in die Nester der angrenzenden Büsche. Das wird eingebaut in die dann flauschig-wamen Wohnstätten der Spatzenkinder.

Mein „Plümo” besteht ebenfalls aus Federn, also musste ich beim Zuschauen des Treibens vor den Fenstern automatisch gleich zwei Mal nacheinander kräftig gähnen, was mit anderen Worten jetzt heißt: Der (Achtung, Kalauer) Georg-Spatz geht schlafen. Gute Nacht derweil.

Mata Hari und Günter Guillaume

Aaalso, nun habe ich ja schon angedroht, dir mein Missgeschick zu erzählen, dann werde ich das mal tun:

Mitten im vorgestrigen Sturm fuhr ich mit dem Rad in moderater Geschwindigkeit und wollte mal meine Multitasking-Fähigkeiten ausprobieren, indem ich gleichzeitig Mata Hari mit der rechten Hand in die Brusttasche des Parkas stecken und eine Regenkappe aufsetzen wollte. Dabei verfehlte ich die Öffnung der Tasche und das Smartphone rutschte außen entlang des Parkas, eckte am Gestell des fahrenden Rades an, wodurch es einen munteren trudelartigen Impuls bekam und titschte sodann mindestens zwei mal kräftig auf den Asphalt bevor es in einem rutschenden Auslauf endgültig zu liegen kam. Heftig! Zwar ist Mata Hari ein Outdoor-Smartphone, doch durch den großen Akku besitzt es enormes Gewicht. Wäre statt des Smartphones mein Körper dieselbe Strecke gestürzt, dann hätten mich diverse Blessuren sicher wieder tagelang ausgeknockt.

Fluchend hielt ich an, stieg vom Rad und hob Mata Hari vom Boden. Die Lederschutzhülle hatte ein paar kleinere Schrammen abbekommen aber, o Wunder, Mata Hari tanzte und spionierte weiter, als sei nichts geschehen – dachte ich. Zu Hause stellte ich dann aber leider fest, dass sich das Teil nicht mehr nachladen ließ. Statt Strom zu laden, verlor es in den folgenden Stunden an Kapazität.

Jetzt musste ich schnell handeln, denn falls in dieser Art der Akku gen null ginge, hätte ich keinen Zugriff mehr auf meine Bank-Apps und die neue Post-App der Paket-Station, die komfortablerweise nur knapp 100 Meter bei meinem neuen Zuhause gelegen ist. Was also tun? Versetze dich in meine Lage.

Ich startete das Smartphone mehrmals neu, was zu keiner Änderung des Verhaltens führte, doch bevor ich Mata Hari einer genaueren Untersuchung unterzog, musste zuerst einmal eine Datensicherung gemacht werden, die ich dann auf ein neu zu bestellendes billiges Zweithandy aufspielen könnte. Das ging zügig vonstatten. Danach schaltete ich Mata Hari aus zwecks Stromersparnis.

Für nur 56 Euro habe ich ein Mini-Smartphone als Reserve gekauft. Dasselbe Betriebssystem mit einem leichten Miniakku von nur 3.000 mAh. Das wird heute bei mir eintreffen. Über die Qualität eines Smartphones von 56 Euro brauchen wir nicht zu diskutieren, zur Not aber funktionieren diese wichtigen Apps damit gut. Mehr soll es ja gar nicht tun.

Danach widmete ich mich dann in Ruhe wieder Mata Hari. Was ich in der Folge zuerst nicht verstand, war die Tatsache, dass das Laden angezeigt wurde bei abnehmendem Akkufüllstand. Auch die installierte App „Ampere” zeigte detailliert den Stromfluss ins Gerät an. Schlussendlich tat das meine externe zwischengeschaltete Akku-Überwachung ebenfalls. Wie kann das bitteschön möglich sein? Es floss Strom ins Gerät, das Gerät zeigte dies auch an, aber der Füllstand leerte sich dennoch langsam.

Akku kaputt, das wäre die einzige Erklärung, wenn – und jetzt dämmerte es mir, ja, wenn ich nicht einen Magnetadapter dauerhaft in den USB-Anschluss gesteckt hätte. Der schließt einigermaßen bündig mit dem Gehäuse ab und ich habe sein Vorhandensein längst vergessen. Was, wenn er zufällig durch einen direkten Stoß beschädigt worden wäre? Jetzt erst zog ich ihn aus die USB-Buchse und versuchte die Ladung mit dem original USB-Stecker. Du errätst es sicher schon, sonst würde ich ja nicht so ausführlich darüber schreiben, das Laden funktionierte sofort einwandfrei. Ich besaß noch einen 3. Magnetadapter, den ich danach einsteckte, auch er funktionierte. Den beschädigten probierte ich an einem anderen Gerät, er blieb kaputt. Ein solcher Stecker kostet 2 Euro.

Naja, zumindest hat Mata Hari ihre Robustheit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, kein Schaden am Gerät. Dass ich nun 56 Euro relativ umsonst bezahlt habe, tja, das bin ich im Grunde natürlich selber Schuld. Wobei wirklich rausgeschmissenes Geld ist ein solches Zweithandy aber eigentlich auch nicht. Sobald die Apps dort installiert sind, ist gegen künftige Malheurs jedenfalls vorgesorgt.

Das war’s auch schon mit meinem Bericht. Multitasking ist oft nicht ganz so leicht – das wusste ich aber schon vorher. Warum ich’s trotzdem immer wieder versuche, ist mir ein Rätsel. Der Mensch wird wohl doch nicht zwingend aus Schaden klug, nicht wahr?

Übrigens wird als einprogrammierter Begrüßungstext das Zweithandy den Namen Guillaume bekommen. Mata Hari und Guillaume, Google kann frohlocken.

Etwas über die eigene Befreiung

Ist es nicht seltsam, wie sich alles hin- und herbewegt im Leben: als junge Menschen wohnten wir in einer Studenten-WG, jeder besaß ein eigenes Reich, das eigene Zimmer, der Rest der Wohnung gehörte allen. Großartig und aufregend empfanden wir das gemeinsame Leben auf dem beengten Raum. Nach ein paar Jahren begannen alle Bewohner sich dennoch nach mehr Platz zu sehnen. Die Flugtation der Bewohner fing an. Irgendwann waren sämtliche Gesichter ausgetauscht, auch das meinige verschwand und ein neuer junger Mann genoss das Reich seines Zimmers. Mit meiner Liebsten wurde eine eigene Wohnung bezogen. Wir besaßen kaum etwas an Möbeln, so dass nach dem Einzug die große Wohnung dennoch leer dastand. In der Folgezeit fing der Konsum an auszuufern, regelrechte Wallfahrten nach Ikea fanden statt, bis dass die Wohnung am Ende wieder genauso vollgestopft mit Möbeln und Kram war, wie seinerzeit das beengte Studentenzimmer. Irgendwann danach begannen die Gespräche über Familie und Haus mit unendlich viel Platz. Auch das wurde später realisiert. Das selbe Spiel begann von Neuem.

Nur leider funktionierte es nicht dauerhaft. Scheidung und Trennung rissen die Lebens-WG entzwei wie zuvor die Enge die Studenten-WG. Bis auf kurze Jahre der Unterbrechung blieb ich alleine für mich. Platznot war im Haus aber kein Thema. In den letzten 30 Jahren sammelte sich dermaßen viel Kram an, dass ich den Überblick verlor. Er störte zwar nicht, da er sich gut verteilte, doch immer öfter nahm ich ihn auch als eine Art Belastung wahr. Was will man zum Beispiel im Internetzeitalter mit Tausenden billigen Taschenbüchern, die, wenn du eines aus dem Regal nimmst, bereits zerbröseln (vor allen Dingen bei Rowohlt-Bücher aus den 70er und 80er Jahren aber auch bei anderen der Billigverlage verwest das Papier schon nach 20, 30 Jahren)? Es ist dasselbe wie bei Schallplatten, CDs oder DVDs. Über ein, zwei Dekaden waren sie das Nonplusultra, bevor die fortschreitende Technik sie ersetzte. Für meinen E-Reader besitze ich eine Bibliothek von derzeit 60.000 E-Books, die den winzigen unsichtbaren Platz benötigen, auf dem Einzeller riesige Veranstaltungen und Feiern organisieren.

Zu den überflüssig gewordenen Büchern kommt die Kleidung hinzu, die ich nicht wegwerfen mochte, unnütze Möbel, nie gebrauchte Küchengerätschaften und ein schieres Sammelsurium von Krimskrams der letzten 50 Jahre. 95 Prozent von all den Dingen blieben Staubfänger und wurden nie mehr benutzt.

Das nur mal grob und ziemlich gerafft erzählt der Vorstellung halber.

Jetzt stehe ich vor all dem Zeug und werde mich locker von ¾ verabschieden. Es ist eine bis jetzt unvorstellbar große Aufgabe, die ich angehe, doch du wirst es vielleicht kaum glauben, ich freue mich riesig auf diese Art einer Entschlackung. Durchweg erlebe ich beim Packen der Kartons aber dem Zurücklassen der meisten Dinge Gefühle einer neugewonnenen Unabhängigkeit. Losgelöst vom Ballast der vergangenen Jahrzehnte wieder aufs Wesentliche reduziert zu sein, das ist ein überwältigendes Gefühl von Freiheit. Die materielle Verkleinerung führt zu einer geistigen Erweiterung ungeahnten Ausmaßes.

Vielleicht fällt mir diese Verjüngungskur auch deshalb so leicht, weil ich schon über 30 Jahre hauptsächlich in der digitalen Welt zu Hause bin. Ein Sammelsurium virtueller Dinge ist nach wie vor vorhanden, doch es nimmt vergleichsweise wenig Raum in Anspruch. Denke an die Film- und Serienarchive. Tausende Stunden Unterhaltung, für die in der analogen Welt ganze Regalwände von CDs und DVDs nötig wären; all das befindet sich auf Datenträgern, die einen Raum von der Größe einer Zigarrenkiste einnehmen.

Sobald der Umzug vollbracht sein wird, bin ich zwar wieder ein, zwei Wochen ohne Internet (mir fehlt die Erfahrung, um sagen zu können, wie lange ein Umzug des Telefonanschlusses letztlich dauert), aber Mata Hari hat ja schon bewiesen, dass damit zumindest teilweise die Offline-Zeit überbrückt werden kann.

Die Zeiten als Jäger und Sammler sind also definitiv vorbei. Es ist sinnlos geworden, Dinge zu horten, wenn Amazon binnen 24 oder oft sogar 12 Stunden selbst benötigte Kleinigkeiten für 2,50 Euro bis an die Haustür liefert. Amazon hat den Versandhandel weltweit revolutioniert. Darüber kann man geteilter Meinung sein, es ist aber heute so, wie es ist. So lange Wirtschaft und Infrastruktur funktionieren, ist eine übertriebene Vorratshaltung unnütz geworden und verschwendet nur den Raum, belegt den Platz zum Ausbreiten der eigenen Flügel. Sollte die Gesellschaft und das Land einmal zusammenbrechen, die Dystopie Wirklichkeit werden, dann hilft dir auch kein Halbjahres-Vorrat mehr, denn dann lernen wahrscheinlich alle Menschen das existenzielle Leben von Grund auf neu. Der Mensch ist anpassungsfähig, und das erstaunlich schnell. „Für schlechte Zeiten”, das galt früher als durchaus berechtigte Devise, trotzdem ist das Gefühl, durch preppern oder ähnliches eine persönliche Unabhängigkeit zu bewahren, ein trügerisches und, wie ich heute glaube, ein falsches Gefühl. Sollte das Land kaputtgehen, hilft es nicht, sich in den eigenen Kaninchenbau zurückzuziehen, sondern dann müssen alle daran mitarbeiten, das Land wieder zu reparieren, es neu aufzubauen. Ein Überleben für Jahre oder Jahrzehnte in einem Atombunker ist kein erstrebenswertes Dasein. Es kann durchaus sein, dass sich deren Überlebende wünschen würden, im Blitz eines Atomschlags gegangen zu sein, als in Depression, Zucht und Ordnung die letzten Jahre verbringen zu müssen.

Natürlich: das ist jetzt ein bisschen weit hergeholt, schon klar. Doch alles beginnt irgendwo im Kleinen; irgendwann kommt immer der Punkt, an dem materieller Reichtum und das Alles-Haben-Wollen ins Gegenteil umschlägt und dich zum Sklaven der Dinge und des Besitzes machen. Dummerweise bemerkt man diesen „Kipppunkt” selten, die materielle Vermüllung schleicht sich förmlich ins Leben unbemerkt ein.

In diesem Sinne der Befreiung demnächst mehr. Gehab dich wohl.

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Nachtrag: Ach, übrigens. Beim Sinnieren über die Vergangenheit flogen die Erinnerungen wieder dicht vor meinem inneren Auge vorüber. Was war eigentlich die glücklichste Zeit in meinem Leben? Eindeutig Mitte der 1990er Jahre. Ich bewohnte eine kleine Dachgeschosswohnung in der Mönchengladbacher Altstadt für 200 Mark Warmmiete. Kein Badezimmer, Außentoilette und eine eigens aufgebaute Duschkabine in der Küche. Der erste Windows-95-Rechner stand in einem mächtigen Turm unterm Schreibtisch und ein 15-Zoll-Röhrenmonitor ließ beim Rattern, Pfeifen und Zischen des Modems meinen Mund vor Faszination offen stehen, als ich die ersten Male in „Broken English” nachts mit jemandem in New York live chattete und wir uns über Star-Trek-Bildchen austauschten. Das erste Handy, ein gigantischer Hundeknochen, und das erste wegen seiner langen Akkulaufzeit wirklich zu gebrauchende Schnurlostelefon eröffneten eine bis dahin unbekannte Welt der zur Realität gewordenen Science Fiction. In der Küche mixte ich Teig und buk Omas Pfannekuchenrezept nach, ein weißer Toaster ohne Glühdrähte, den ich nach wie vor besitze und behalten werde, beeindruckte mich enorm, eine Funk-Küchenuhr, die ich nie mehr nachzustellen brauchte und die bis zum heutigen Tag an der Wand tickt, wobei sie nur alle 8 Jahre eine neue Batterie benötigt, vermittelten das Bild einer vollkommen neuen technischen Zeit. Dazu die neu gewonnene Freiheit wegen des Mauerfalls und der Wiedervereinigung, überall waren die Menschen positiv gestimmt. Frieden und Freiheit schienen plötzlich zum Greifen nah zu sein – all das zusammen ließ den Glauben, nun endlich in einer neuen gerechten Welt zu leben, zur Gewissheit werden. Eine nette hübsche Nachbarin kam bei Abwesenheit ihres Mannes und des Sohnes regelmäßig vormittags zu mir hoch und wir beide genossen das unkomplizierte Vergnügen erotischer Natur, von dem kein Mensch je etwas erfahren hat. Mein Auto war ein ausgedienter Firmenwagen, ein vergammelter VW-T3 Diesel, der mich dennoch nie im Stich ließ. Der ganze Materialismus stand auf Minimum aber trotzdem fühlte ich mich unsagbar reich als Teil einer neuen Welt. Geld besaß ich zu jener Zeit kaum, doch die Lebenshaltungskosten betrugen vielleicht ein Drittel von denen heutzutage. Was ich damit auszudrücken versuche: ich kenne auch die glückliche Welt des Minimalismus – danach schlich sich das „Erwachsenenstreben” mit immer mehr, stets das Neuste und auf Arbeit gefälligst in täglich neuer Kleidung (gesellschaftlicher Zwang) unbemerkt mehr oder weniger ebenfalls in mein Leben.

Traumatisches

„Was machen Sie denn hier?”, lautete meine Frage an die unbekannte junge Frau, die plötzlich am Fußende meines Bettes stand. „Wer sind Sie?” Die Frau war in eine alte braune Wildlederjacke gehüllt, die sie über eine rote Bluse trug. Sie war verantwortlich für mein Erwachen. Stelle dir bitte mal so etwas vor: du liegst im Bett und öffnest deine Augen, da steht an deinem Bett ein fremder Mensch und schaut dich an. Hallo? Ihre dichten langen Haare wurden mehr schlecht als recht von einer Mütze verborgen, das heißt, an mehreren Stellen quollen Haarsträhnen hervor. Die Mütze war ebenfalls aus einem schon abgegriffenen Stoff gefertigt und erschien wie eine alte Arbeiter-Kopfbedeckung aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Das ganze Outfit der Frau tendierte retromäßig in diese Richtung. Eine weite schwarze Hose und braune grobe Ledertiefel rundeten dieses Bild ab.

Frau: „Entschuldigen Sie mein Eindringen. Ich bin Journalistin. Eine alte Frau hat mir Ihre Wohnungstür geöffnet. ‚Treten Sie sorglos ein‘ ermunterte sie mich, ‚Georg wird wohl noch im Bett liegen, doch wecken Sie ihn ruhig auf‘, meinte sie.”

Ach, sieh an, meine Mutter! Nun liegt sie schon ein halbes Jahr lang unter der Erde aber immer noch erscheinen ihre übergriffigen Unverschämtheiten im Traum. Gerade so, als habe sie diese hier im Leben einfach zurückgelassen wie andere einen alten Koffer oder einen Regenschirm.

„Und was machen Sie hier?”, fragte ich die Frau während sich der aus dem niedrigen Bett ächzende Rest meines Körpers unterhalb des Kopfes gleichsam erhob und meine müden Beinknochen wie automatisiert in eine auf dem Boden vor dem Bett abgelegten ausgeleierten schwarzen Jogginghose schob. „Reichen Sie mir doch bitte mal das T-Shirt”, sagte ich. Die Frau hob es sodann mit spitzen Fingern vom Boden auf. „Das?”, fragte sie mit einer deutlich angewiderten Mimik eines beginnenden Ekels in ihrem jungen Gesicht. „Ja, genau das! Wenn Sie hier schon ungefragt eindringen und mich aufwecken, ist das wohl nicht zu viel verlangt. So dreckig ist das Shirt gar nicht, was Sie sehen sind nur Nutellareste von gestern. Süß und lecker,” gab ich patzig zur Antwort. Fehlte auch noch, mich für einen solchen Übergriff nett anzuziehen. „Also was wollen Sie von mir? Und wer sind sie überhaupt?”

„Mein Name ist Bernadette Luetgel und ich schreibe hauptsächlich für den ‚Rheinischen Traum-Boten‘. Der Chef vom Dienst hat mich hierher beordert, um quasi live vor Ort die Auswirkungen Ihrer Durchblutungsstörungen mitzuerleben. Sie glauben sicher, Ihre kalten Füße rührten von einer verrutschten Decke und den frischen herbstlichen Temperaturen, doch sie sind in Wahrheit Folge eines augenblicklichen starken Absackens des Blutdrucks, was in Verbindung mit den altersbedingten Störungen Ihres Kreislaufs jederzeit zu Ihrem Ende führen könnte.”

„Ach?”, stellte ich staunend fest, „woher wollen Sie das denn wissen?”

„Sie waren es doch selber, der durch sein neues Smartphone ‚Mata Hari‘ Tür und Tor zum Ausspionieren Ihrer Lebensumstände an völlig fremde Leute freigegeben hat. Nun, ich gehöre zu ihnen, und mein Chef plant eine Reportage über die letzten Minuten im Leben eines Schwurblers und allgemeinen Medikamenten-Kritikers als angsterregendes abschreckendes Beispiel für die Allgemeinheit. Dazu bin ich hier. Dass ich Ihnen jetzt auch noch Ihr verdrecktes T-Shirt reiche, glauben Sie mir, das war nicht vorgesehen. Können Sie nicht einfach ohne viele Worte weitersterben?”

Nachdem ich den zweiten Socken übergestreift hatte und den ebenfalls schlabbrigen Hoodie, schlurfte ich zur im selben Raum befindlichen Küchenzeile und murmelte fragend die Worte „Tee oder Kaffee?”

Die Blicke der jungen Frau folgten meinen Bewegungen. „Tee”, sagte sie.

Wir schwiegen und ich öffnete die Augen. Meine kalten Füße hatten mich gerade geweckt. Oder war es etwas anderes? Der Raum war dunkel, kein Wasser brodelte, und ich lag noch im Bett. Woher stammte das Traumbild dieser Frau, fragte ich mich, alles andere konnte ich mir zusammenreimen. Als ich später am Rechner saß und über diese Zeilen nachdachte, da erst sah ich sie. Sie ist auf zwei Ölgemälden meiner Mutter abgebildet, die seit 24 Jahren in der Wohnung hängen aber schon so lange von mir dermaßen unbeachtet werden, wie ein einfaches Tapetenmuster an der Wand. Dennoch scheinen beide ihren Weg in mein Unterbewusstsein gefunden zu haben. War es nun eine mystische Rettung in letzter Sekunde oder hat einfach nur das Gehirn den Körper mit sicherem Gespür für die richtigen Bilder aufwachen lassen, um den Blutdruck wieder in Gang zu setzen?

Geheimnisse des Alltags sozusagen. Und bis morgen in diesem Theater. Noch ist die woke Welt mich nicht ganz los.

Fehler – gute und weniger gute

Es gibt Fehler, die sind so wunderbar, wenn man sie begeht – und rechtzeitig bemerkt, lässt sich die spontane Freude darüber kaum in Worte fassen.

Inneres Ich: „Wie? Was? Bist du jetzt endgültig übergeschnappt?”

Ernsthaft. Die ganze letzte Nacht verbrachte ich im Bewusstsein der Deadline heute um 10 Uhr, der späteste Zeitpunkt, um zu Bett zu gehen, damit die folgende Dienstnacht nicht zum unerträglichen Horror im Kampf gegen die Müdigkeit wird. 10 Uhr war schon vorüber aber ich hatte so überhaupt keine Lust aufs Bettchen. Trotzdem zwang ich mich, die Monitore auszuschalten und mich so langsam schleppend bzw. schlurfend bettfertig zu machen. Wat mutt, dat mutt. Ein wenig wunderte ich mich zwar über die draußen herrschende Stille, da fiel es mir auch schon wie Schuppen von den Augen: wir haben Sonntag! Meine nächsten Schichten beginnen aber erst Montagabend. Welch eine innere Freude in mir emporstieg, eben sie ist kaum in Worte zu kleiden. So, so, schön!

Jetzt gucke ich noch in aller Ruhe und Gemütlichkeit einen Spielfilm. „Miss Viborg”, ein dänischer Film mit guten Kritiken, der mich dann mal überraschen soll. Falls er nicht gefallen sollte, trübt das die Freude kein Stück.

Apropos nicht gefallen: Letzte Nacht habe ich „Oppenheimer” angeschaut. Eine im Kino abgefilmte Version, also kein gutes Bild aber guter Ton. Ich kann die vielen enthusiastischen Filmkritiken absolut nicht nachvollziehen. Zwar beinhaltet der Film ein tolles aktuelles Thema, auch spielen in ihm erstklassige Schauspieler mit außergewöhnlich guten Leistungen, aber die grottenschlechte Regie, ein wie wahnsinnig gewordener Schnitt und eine noch schlimmere Kameraführung zerstören eigentlich alles. Darüber hinaus zerrte über die gesamte Länge die Musik kräftig an meinen Nerven. Von dem Versuch, unbedingt modern wirken zu wollen, bleibt eigentlich nur eine unerträgliche Hektik, eine Art Bild-Collage übrig. Schwarz-Weiß-Szenen (der Authentizität wegen) und Kameraperspektiven, die aber nur gekünstelt wie ein auf alt getrimmtes Möbelstück aus Sperrholz wirken, bringen aneinendergestückelt gemeinsam mit den stets an falscher Stelle eingefügten Rückblenden den Filmfluss immer wieder ins Stocken. Sämtliche Figuren, wichtige Menschen des damaligen Zeitgeschehens, erstklassige Wissenschaftler und die schreckliche Mc.Carty-Ära in den USA bleiben blass oder sogar gänzlich unerwähnt. Das Filmthema besitzt solch ein riesiges Potential – doch was bleibt, ist leider die vertane Chance, dem kriegslüsternen Zeitgeist etwas Großes entgegenzustellen. 3 von 10 Bewertungs-Punkte. Entschuldigung, falls du den Film mögen solltest, just my 2 cent.