Es war ja schon hochnotpeinlich, dass ausgerechnet Robert Habeck das Vorwort zu Georges Orwells Roman „1984” geschrieben hatte. Also jemand, vor dem uns der Roman eindringlich warnt, gibt nun quasi den Lesern zur Einordnung vor, wie und was sie darüber zu denken haben, denn nichts anderes bezweckt ein Vorwort.
Jetzt wird es aber regelrecht grotesk, um nicht zu sagen (weil’s so schön passt) kafkaesk. Denn die Jubiläumsausgabe von „1984” erhält Triggerwarnungen, die an Absurdität ihresgleichen suchen. Es wird dem Buch angelastet, dass es frauenfeindlich sei und dass keine schwarzen Menschen in der Geschichte vorkommen. Ernsthaft, das Fehlen von Rasse und Ethnizität wird beklagt. Man fragt sich sofort, ob die Dame, die das neue Vorwort geschrieben hat, Dolen Perkins-Valdez, so ihr Name, den Roman überhaupt gelesen, geschweige denn verstanden hat, da sie in ihrer Kritik ansonsten inhaltlich stumm wie ein Fisch bleibt. Nun, die Frau ist Dozentin für Literatur und wird den Roman folglich wenigstens gelesen haben, aber was, um alles in der Welt, sollen demnach diese absurden woken Warnungen bezwecken?
Der Schriftsteller Walter Kirn bringt es auf den Punkt, wenn er über das neue Vorwort schreibt: „Wir bringen jemanden dazu, George Orwell wegen Gedankenverbrechen zu verurteilen, und zwar in dem Buch, das er über Gedankenverbrechen geschrieben hat.” Er fügt hinzu: „Es ist das verdammt 1984-mäßigste, was ich je gelesen habe.” Da haben wir es, es soll also all die Leute ermuntern, die nicht lesen bzw. die den Roman nie gelesen haben, von ihm auch weiterhin die Augen zu lassen. Es ist die reinste Diskreditierung eines Erfolgsautors über seinen Tod hinaus und erinnert überdies stark an kulturpolitische Schmähungen der DDR, die selbst vor der Weltliteratur nicht haltmachte, wenn diese den sozialistischen Idealen auch nur ansatz- oder verdachtsweise entgegenstand. Es ist jene Methode, etwas, das man nicht mehr verbieten kann, wenigstens so weit schlechtzureden, indem der Inhalt nebensächlich gemacht wird aber Nebensächlichkeiten und/oder etwas nicht Vorhandenes zentrale Bedeutung erhält, damit neue unbeschriebene weiße Blätter der jungen woken Generation den Roman erst gar nicht lesen wollen oder ihn bereits zu Beginn ihrer Lektüre nicht mögen sollen und ihn möglichst wieder weglegen.
Für dieses Vorgehen der Pädagogik, das in seinem Scheitern bereits den weißen Bart des Methusalems trägt, muss man der Frau Perkins-Valdez gleichwohl danken, denn es verhilft seit jeher den vermeintlich ideologiefeindlichen Werken gerade so richtig zu ihrer Popularität; es ordnet „1984” nun in das unbeleuchtete aber am meisten begehrte hinterste Eckregal des Buchladens ein, in dem die klugen, subversiven und interessantesten Werke stehen.